#46: Wer arbeitet dann noch?
19 Minuten
Podcast
Podcaster
Linz
Beschreibung
vor 4 Wochen
Wer arbeitet noch, wenn er/sie ein BGE
bekommt?
Wie wird sich das BGE auf den Arbeitsmarkt
auswirken?
Eine der ersten Reaktionen, wenn wir mit Menschen sprechen, die
das Prinzip des BGE kaum kennen, ist oft die Frage: „Und wer
arbeitet dann noch?“.
Hinter der Frage verstecken sich zwei tief sitzende Annahmen: die
erste ist jene, dass der Mensch von Grund auf ein faules Wesen
ist, dass durch Druck dazu gebracht werden muss, tätig zu werden.
Die zweite kommt aus der Überzeugung, dass Arbeit nur dann
geleistet wird, wenn sie auch entlohnt wird.
Das Gabler Wirtschaftslexikon definiert den Begriff der Arbeit
folgendermaßen: es ist eine „zielgerichtete, soziale, planmäßige
und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit“. Wenn wir, Paul
und ich, hier im Studio sitzen und einen Podcast aufnehmen,
arbeiten wir also.
Wir haben das Ziel, eine Aufnahme zu machen = zielgerichtet.
Wir arbeiten gemeinsam um unserem Publikum Informationen zu
liefern = sozial.
Wir haben uns im Vorfeld überlegt, welches Thema wir
besprechen möchten = planmäßig.
Wir haben uns inhaltlich darauf vorbereitet = bewusst.
Wir sind hier ins Studio gekommen und sprechen unsere
Gedanken und Überlegungen in ein Mikrofon = körperliche und
geistige Tätigkeit.
In dieser grundsätzlichen Definition ist also noch keine Rede von
Geld. Und nebenbei bemerkt bekommen weder Paul noch ich eine
Entlohnung für das, was wir hier tun. Genauso wenig wie die
Eltern, die ihren Kindern zu Essen machen, die pflegende
Angehörige, die ihrem Großvater die Windel wechselt oder die
Feuerwehrleute, die Brände löschen. Und alle diese Menschen
arbeiten im oben angeführten Sinne.
Was wir allerdings auf Basis des herrschenden Wirtschaftssystems
von Politiker:innen und Medien oft „vorgebetet“ bekommen ist der
Satz: „Leistung muss sich lohnen“ und wer kein sogenannter
Leistungsträger oder keine Leistungsträgerin ist (wer immer sich
dieses Urteil über eine Person anmaßt) wird abgewertet. Hier
greift also ein Wertesystem, das wir als Gesellschaft
verinnerlicht haben. Nicht der Mensch per se ist etwas wert,
sondern seine Arbeitskraft.
Sehen wir uns diese Überlegung aus Sicht der
Volkswirtschaftstheorie an. Der arbeitende Mensch wird heute als
„Humankapital“ quasi anonymisiert und „entmenschlicht“. Auch im
Gabler Wirtschaftslexikon wird kritisch angemerkt, dass es
„Problematisch ist, dass die Untrennbarkeit von Mensch und
Arbeitskraft unberücksichtigt bleibt; deshalb wird Arbeit als
eigentlicher Produktionsfaktor (…) bezeichnet“. Wohin diese
Definition führt, wenn der Mensch, der seine Arbeitskraft gegen
Geld zur Verfügung stellt, mit seinen Bedürfnissen als fühlendes
Wesen quasi negiert wird, das spiegelt sich in den Burnout-Raten,
dem Phänomen des Boreout oder auch im Begriff der entfremdeten
Arbeit wider. Laut einer Studie zeigen über 40% der Erwachsenen
in Österreich Symptome eines Burnout-Syndroms[1]. Das sind
alarmierende Zahlen. Der Druck, der auf uns lastet, ist offenbar
viel zu hoch.
Aber zurück zu unserer Frage „Wer arbeitet dann noch?“. Meistens
ist diese Frage mit dem moralischen Vorwurf ausgestattet, der
Mensch sei grundsätzlich faul. Doch ist man wirklich faul, wenn
man sich dem krankmachenden Diktat des Erfolgsdrucks entziehen
möchte? Viele junge Menschen möchten nicht mehr wie ihre
Vorgängergenerationen im Hamsterrad immer schneller laufen. Sie
suchen Lebensqualität und erfüllende Beschäftigungen. Dahinter
steckt nicht der Unwille etwas nicht zu tun, das getan werden
muss, sondern die Sehnsucht nach sinnvollen Tätigkeiten und einem
sinnvollen Leben.
Die Menschheit wäre nicht da, wo wir heute stehen, wenn der
Mensch an sich faul wäre. Seit dem auftauchen der Spezies Homo
vor etwa 7 Millionen Jahren auf diesem Planeten haben wir den
Gebrauch von Werkzeugen erlernt, das Rad erfunden, die Staatsform
der Demokratie aus der Taufe gehoben, das Kanalsystem gegraben,
Maschinen das Fliegen gelernt und das Internet kreiert. Wenn
Menschen faul wären, trotz ihrer massiven geistigen Potenziale,
dann säßen wir vermutlich immer noch in Höhlen oder zögen durch
die Savanne.
Also nochmal: „Wer arbeitet dann noch?“
Pilotprojekte und Experimente zum BGE haben bereits erwiesen,
dass Menschen zwar kurzfristig weniger arbeiten
(Mincome-Experiment in Canada, Podcast Nr. 7[2]), um sich zu
erholen bzw. sich weiter zu bilden, dann aber mit mehr
Kenntnissen wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen. Das Experiment
in Heidenreichstein (unser Podcast Nr. 4[3]) hat ergeben, dass
Langzeitarbeitslose, die ein BGE erhielten, wieder in den ersten
Arbeitsmarkt eingestiegen sind, weil sie gesünder und wieder
leistungsfähiger waren. Sozusagen „fit2work“ durch BGE. In Kenia
(GiveDirectly) haben Menschen Kleinunternehmen gegründet und
damit den eigenen und den Wohlstand in ihrer Region erhöht. Und
die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. In Indien (Madhya
Pradesh) wurde das Geld in Saatgut und Nähmaschinen investiert,
was höheres Haushaltseinkommen brachte. Also durchwegs Resultate,
die beweisen, dass Menschen durch das BGE nicht die Hände in den
Schoß legen. Das wäre uns von Natur aus tätigen Wesen nicht
gerecht.
Das BGE bringt Menschen ins Handeln, macht sie kreativ und
ermöglicht Selbstermächtigung. Das wäre eine Antwort auf die
Frage: „Und wer arbeitet dann noch?“
Und? Wie schaut es bei Dir aus? Was würdest du tun, wenn deine
Existenz gesichert wäre? Würdest Du aufhören zu arbeiten?
[1] 18.11.2024:
https://www.derstandard.at/story/3000000209202/40-prozent-der-erwachsenen-214sterreicher-mit-anzeichen-von-burn-out
[2] Link zum Podcast „Das Mincome-Experiment“:
https://cba.media/651901
[3] Podcast über Heidenreichstein: https://cba.media/682483
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