Die Brück' am Tay - Ballade von Theodor Fontane

Die Brück' am Tay - Ballade von Theodor Fontane

3 Minuten

Beschreibung

vor 1 Tag

Deutsche Balladen - Episode 8


Eine Ballade, welche die grenzenlose Technikgläubigkeit der
Menschen in Frage stellt und sich dabei geschickt der
Shakespearschen Hexen bedient.


Die Brück’ am Tay


von Theodor Fontane


When shall we three meet again? Macbeth »Wann treffen wir drei
wieder zusamm?«    »Um die siebente Stund‘, am
Brückendamm.«      »Am Mittelpfeiler.«
         »Ich lösche die
Flamm.« »Ich mit.«
         »Ich komme vom
Norden her.« »Und ich vom Süden.«
            
»Und ich vom Meer.« »Hei, das gibt einen Ringelreihn, Und die
Brücke muß in den Grund hinein.« »Und der Zug, der in die Brücke
tritt Um die siebente Stund’?«
            
»Ei, der muß mit.« »Muß mit.«
        »Tand, Tand Ist
das Gebilde von Menschenhand!« Auf der Norderseite, das
Brückenhaus — Alle Fenster sehen nach Süden aus, Und die
Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh Und in Bangen sehen nach Süden
zu, Sehen und warten, ob nicht ein Licht Übers Wasser hin »Ich
komme« spricht, »Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.« Und der Brückner jetzt: »Ich seh’ einen
Schein Am anderen Ufer. Das muß er sein. Nun, Mutter, weg mit dem
bangen Traum, Unser Johnie kommt und will seinen Baum, Und was
noch am Baume von Lichtern ist, Zünd’ alles an wie zum heiligen
Christ, Der will heuer zweimal mit uns sein, — Und in
elf Minuten ist er herein.« Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm, Und Johnie spricht: »Die
Brücke noch! Aber was tut es, wir zwingen es doch. Ein fester
Kessel, ein doppelter Dampf, Die bleiben Sieger in solchem Kampf.
Und wie’s auch rast und ringt und rennt, Wir kriegen es unter,
das Element. Und unser Stolz ist unsre Brück’; Ich lache, denk’
ich an früher zurück, An all den Jammer und all die Not Mit dem
elend alten Schifferboot; Wie manche liebe Christfestnacht Hab’
ich im Fährhaus zugebracht Und sah unsrer Fenster lichten Schein
Und zählte und konnte nicht drüben sein.« Auf der Norderseite,
das Brückenhaus — Alle Fenster sehen nach Süden aus, Und die
Brücknersleut’ ohne Rast und Ruh Und in Bangen sehen nach Süden
zu; Denn wütender wurde der Winde Spiel, Und jetzt, als ob Feuer
vom Himmel fiel’, Erglüht es in niederschießender Pracht Überm
Wasser unten... Und wieder ist Nacht. »Wann treffen wir drei
wieder zusamm?«    »Um Mitternacht, am Bergeskamm,«
     »Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«
»Ich komme.«      »Ich mit.«
         »Ich nenn’ euch
die Zahl.« »Und ich die Namen.«
        »Und ich die
Qual.« »Hei!    Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
        »Tand, Tand Ist
das Gebilde von Menschenhand.«


Sprecherin: Eva K. Kühn für LibriVox

Bild: Simon Hark auf Pixabay

Etext in Wikisource:
https://de.wikisource.org/wiki/Die_Br%C3%BCck%E2%80%99_am_Tay

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