Ist Gott Quere?
Eine Predigt im Abschlussgottesdienst des Kirchentages in Nürnberg
2023 hat viel Zustimmung bekommen, aber auch Hasskommentare
hervorgerufen. Einen fruchtbaren Dialog über die Aussage „Gott ist
queer“ gab es leider fast gar nicht.
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vor 1 Woche
Ist Gott queer?
Eine Predigt im Abschlussgottesdienst des Kirchentages in
Nürnberg 2023 hat viel Zustimmung bekommen, aber auch
Hasskommentare hervorgerufen. Einen fruchtbaren Dialog über die
Aussage „Gott ist queer“ gab es leider fast gar nicht.
„Jetzt ist die Zeit zu sagen: Gott ist queer.“ Für diesen Satz in
seiner Predigt im Schlussgottesdienst des Deutschen Evangelischen
Kirchentages in Nürnberg hat er viel Beifall bekommen. Pastor
Quinton Ceasar musste aber auch hasserfüllte Reaktionen
aushalten, mörderische Wut, widerliche Vernichtungsfantasien. Das
ist schlimm. Und dass nicht wenige dieser bösartigen
Beleidigungen von Christen kamen, die den Prediger am liebsten
jetzt schon in der Hölle sehen würden – das ist noch
schlimmer.
Über seine Predigt darf und soll man diskutieren, auch streiten.
Doch wenn man sich öffentlich über theologische Aussagen
austauscht, dürfen zumindest menschlicher Anstand und Höflichkeit
erwartet werden. Gerade unter Christen, die im Gegenüber ein
Ebenbild Gottes sehen, bitte nicht ohne Respekt, besser noch:
nicht ohne Liebe.
„Wir vertrauen eurer Liebe nicht“, hat der schwarze Pastor aus
Ostfriesland gesagt. „Meine Geschwister und ich: Wir haben keinen
sicheren Ort in euren Kirchen.“ Zugegeben, das macht eine
liebevolle Antwort nicht gerade leicht. Zugegeben, er hat
provoziert, wollte wahrscheinlich bewusst einen Stachel ins
Fleisch seiner selbstzufriedenen Kirche setzen. Das rechtfertigt
natürlich in keiner Weise die Hasskommentare. Sie zeugen, so
glaube ich, von einer tiefen Unsicherheit: Scheinbare
Gewissheiten, die man für die Fundamente des Glaubens hält,
stehen plötzlich in Frage. Das verstört und führt zu verstörenden
Reaktionen.
Ceasar hat mit seiner Predigt provoziert und polarisiert. Dass
sich das Kirchentagspräsidium angesichts der menschenverachtenden
Kommentare hinter ihn stellte, ist selbstverständlich. Doch die
extremen Reaktionen – begeisterte Zustimmung einerseits, wütende
Ablehnung andererseits – stehen leider einem fruchtbaren Dialog
im Weg. Sie blockieren ihn.
Dieser Dialog unter evangelischen Christenmenschen ist aber
notwendig. Dabei hilft, wie auch sonst sehr oft, die Tugend des
dialektischen Denkens. Ich versetze mich in den anderen hinein
und schaue, so gut ich kann, aus seinem Blickwinkel auf mich
selbst. Was bewegt ihn, was treibt ihn an? Man muss nicht alles
teilen, was Quinton Ceasar damals auf dem Nürnberger Hauptmarkt
gesagt hat.
Also: Ist Gott queer? Queere Christen zeigen immer häufiger
Gesicht. Gut so. Sie feiern Regenbogengottesdienste. Sie fordern
Anerkennung und Gleichberechtigung als Christen. Richtig. Sie
betonen, dass queere Menschen in den Gemeinden schon lange da
sind. Der Verweis auf die Ebenbildlichkeit aller Menschen ist ein
starkes Argument. Die Schöpfungsgeschichte, aus queerer
Perspektive gelesen, besagt: Gott hat alles geschaffen, Mann und
Frau und alle anderen dazwischen. Gott passt nicht in menschliche
Vorstellungen und Bilder.
Die Theologin Kerstin Söderblom sagt: „Nach diesem Verständnis
kann Gott als ‚queer‘ bezeichnet werden. Denn der Begriff ‚queer‘
kritisiert alle zweigeschlechtlichen und heteronormativen
menschlichen Kategorien. Gott ist in diesem Sinn ganz anders,
jenseits von menschlichen Schubladen und unverfügbar für
menschliche Normen und Bewertungen.“ So weit Kerstin
Söderblom.
Aber ist „queer“ nicht auch wieder genau das: eine menschliche
Norm und Bewertung? Wenn Gott „queer“ ist, entzieht er sich zwar
der zweigeschlechtlichen und heteronormativen Kategorie. Aber
wird er nicht in eine neue Schublade eingesperrt?
Deshalb bin ich sehr skeptisch bei Aussagen über das Wesen
Gottes. „Gott ist…“ – Sätze, die so beginnen, haben schon viel
Unheil angerichtet. Nicht umsonst steht das Bilderverbot gleich
am Beginn der Zehn Gebote. Angesichts der Unbegreiflichkeit
Gottes neigen Menschen schon immer dazu, sich ein Bildnis von ihm
zu machen – das weiß die Bibel und bietet zugleich eine Fülle
wunderbarer sprachlicher Bilder: keineswegs nur Herr oder König,
sondern auch Vater, der sich seiner Kinder erbarmt, oder Mutter,
die ihren Mantel schützend ausbreitet. Gott ist eine Burg, eine
Zuflucht. Unter seinem Schirm oder unter dem Schatten seiner
Flügel bin ich geschützt. Gott ist Sonne und Schild. Er ist
Hirte. Richter. Er ist wie ein athletischer Mensch: „du hast
einen gewaltigen Arm“, betet der Psalmist, „stark ist deine Hand,
und hoch ist deine Rechte“. Mit einem Winzer vergleicht der
Prophet Jesaja den Gott Israels, und sein gottvergessenes Volk
mit einem Weinberg, der trotz bester Hege und Pflege nur
schlechte Früchte bringt.
Ja, es gibt das Risiko, dass Gott in das Gefängnis der begrenzten
menschlichen Vorstellungskraft eingesperrt wird – mit
verheerenden Folgen. Menschen machen sich einen Entwurf von Gott,
der ihren Zwecken dient. Menschen basteln sich ihren Gott, mit
dem sie sich einrichten und der für vieles herhalten muss. Manche
hatten von Gott nur das Bild vom alten Mann mit langem weißem
Bart, der auf einer Wolke sitzt. Und als sie ihren Kinderglauben
und damit auch dieses Bild verloren, blieb ihnen gar nichts
mehr.
Aber: Zeigt nicht genau dieses banale Beispiel, was die vielen
verschiedenen und ausdrucksstarken biblischen Bilder von Gott
bedeuten? Wir können seine Größe nicht fassen. Er entzieht sich
unserer Definition. Weil wir ihn also nicht begreifen können,
brauchen die Autoren der Bibel wechselnde Bilder. Es sind viele,
alle sagen etwas über Gott aus. Doch wir können ihn auf keines
festlegen. Nicht auf ein Geschlecht, weder männlich noch weiblich
noch dazwischen. Der biblische Reichtum an Bildern zeugt also von
einer wunderbaren Freiheit: Wir haben eine Fülle von
Möglichkeiten, Gott zu denken, mit ihm zu sprechen, ihm nahe zu
kommen. Bilder dienen in der Bibel also gerade dazu, Gott nicht
festzulegen, ihn nicht in den Käfig unseres Denkens zu
sperren.
Wir sind Menschen und können Gott nur menschlich denken. Auch die
Naturwissenschaften – Mathematik, Physik, Chemie – können ja
letztlich nur mit Modellen arbeiten, um sich der Wirklichkeit
anzunähern. Unsere Vorstellungskraft ist auf menschliche
Hilfsmittel angewiesen. Für Martin Luther, der das Bilderverbot
nicht in die Reihe der Zehn Gebote aufnahm, war Christus das Bild
Gottes. Wir wissen nicht, wer Gott ist. Aber in Christus sehen
wir Gott: nicht so, dass wir ihn erfassen, festlegen und
eingrenzen. Sondern in der Gewissheit des Glaubens: Jesus
Christus, der Mensch, lebt, spricht und handelt in der letzten
Autorität Gottes.
Zwar ist unsere Erkenntnis Stückwerk und damit auch all unsere
Bilder, aber weil Gott uns als Mensch begegnet, können Bilder
aller Art eine – vielleicht menschlich-geniale – Möglichkeit
sein, etwas von seiner Wirklichkeit zu erfahren. Und zu dieser
Wirklichkeit gehört: Er wendet sich uns liebevoll zu. Er gibt uns
Würde, unabhängig von dem, was wir sind – ob Mann oder Frau oder
divers oder queer, schwarz oder weiß, alt oder jung und welche
Unterschiede es noch geben mag. Er ist nicht unnahbar, sondern
teilt unser Leben. Wir können nicht über ihn verfügen, wir können
ihn nicht in ein Bild einsperren, aber wir haben Grund zur
Hoffnung, dass er mitten unter uns ist.
Wenn Pastor Quinton Ceasar sagte, Gott sei immer an der Seite
derer, die am Rand stehen, „die nicht gesehen, nicht gehört und
nicht genannt werden“, stimme ihm zu. Und das gilt auch für
seinen Satz: „Wenn Gott da ist, dann ist da auch unser Platz.“
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