Folge 3 - Der Wert der Freiheit
1 Stunde 25 Minuten
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Philosophische Gedanken und Ideen, denen wir alltäglich begegnen das ist “Tragende Gedanken”- der Podcast über die philosophischen Ideen, Gedanken und Konzepte, die hinter unserer alltäglichen Welt zu finden sind.
Beschreibung
vor 5 Tagen
Folge 03 – Freiheit – Dr. Philipp Schink
Gesprächstranskript (editiert)
(Marc von der Linde)
Heute nehmen wir im Büro von Herrn Dr. Philipp Schink im
Forschungszentrum Normative Ordnungen in Frankfurt am Main auf.
Vielen Dank, Herr Dr. Schink, dass Sie sich die Zeit für dieses
Gespräch nehmen.
In der heutigen Folge werden wir uns fragen, was der Begriff der
Freiheit bedeutet. Um diese Frage zu erforschen, wollen wir uns
in dieser Folge etwas vorstellen.
Ein Wesen aus dem All kommt auf die Erde. Es fällt in Europa auf
diesen Planeten und fragt sich nach einigen Jahren, in denen es
unentdeckt hier leben konnte, wieso sind die Menschen hier in der
Lage, sich frei zu entwickeln? Welche Annahmen stecken hinter
diesem politischen System?
Das Alien kommt nach Europa und fragt sich, wie es möglich ist,
dass so viele Menschen auf so engem Raum friedlich in Freiheit
miteinander leben. Das Alien kann sich Sprachen erschließen und
sich so an bestehende Gesellschaften anpassen. Allerdings weiß es
nichts von den Bedeutungsinhalten der Worthülsen, die hier wie
selbstverständlich gebraucht werden.
Um einzusteigen, wie würden Sie dem Alien, also ganz allgemein,
Freiheit und die Bedeutung der Freiheit für Frieden erklären?
(Dr. Philipp Schink)
Das ist eine spannende Frage. Vielen Dank. Also ich denke, das
Alien hat zumindest in der Beschreibung schon mal einen richtigen
Einstieg genommen oder einen Einstieg. Man kann viele Einstiege
in das Thema nehmen.
Und zwar ist es diese Verbindung aus der Beobachtung, dass
Menschen friedlich miteinander leben können und dass das in
irgendeiner Weise mit Freiheit zu tun hat.
Und ich glaube, wenn man ein bisschen zurückgeht, zumindest zu
dem neuzeitlichen Begriff oder dem modernen Begriff von Freiheit
und dem Verständnis, was hier für unsere Gesellschaften
eigentlich dann doch prägend ist, dann hat das tatsächlich was
damit zu tun, dass Gesellschaften mit Konflikten massiv
beschäftigt waren und dass Freiheit eine Möglichkeit, einen
Horizont geboten hat, wie man aus diesen Konflikten in der
Gesellschaft rausgekommen ist.
Und das kann man ungefähr verorten: Das hat stark mit
Religionskonflikten zu tun im 16. Jahrhundert, und da gab es die
Idee, dass man gesagt hat, naja, wenn wir diese Konflikte, um was
die richtige Religion oder die richtige Überzeugung ist, nicht
entscheiden können, dann müssen wir eine Art Modus Vivendi
miteinander finden.
Und da hat man die Idee gehabt, das schaffen wir dadurch am
besten, dass wir Lebensbereiche schaffen, die vor den Eingriffen
anderer in irgendeiner Weise geschützt sind. Und das erschließen
wir uns mit Freiheit. Diese Bereiche erschließen wir uns mit
Freiheit.
Und diese Tradition findet man tatsächlich heute immer noch ganz
stark.Die findet man in der Idee, dass Freiheit etwas damit zu
tun hat, dass ich in einem Verhältnis zu anderen Personen stehe.
Und ich sage gleich was dazu, warum diese Bezogenheit auf andere
da eine Rolle spielt. Warum ich in einem Verhältnis zu anderen
stehe, in dem diese anderen nicht in einen Bereich,
Handlungsbereich von mir hineingreifen, eingreifen dürfen oder es
faktisch auch nicht tun. Und dass wir das als eine Freiheit
bezeichnen. Das ist sozusagen der Freiheitsraum.
Und wer diese anderen sind, ist dann sozusagen beliebig
auffüllbar.
Klassisch ist es oft der Staat gewesen. Man sagt, es gibt
gegenüber dem Staat, gegenüber einer politischen Entität, einen
bestimmten Bereich, der sagt: Hier sind die Grenzen staatlichen
Handelns in Bezug auf die ihm unterworfenen Individuen, was wir
dann als Bürgerinnen heute kennzeichnen.
Von daher denke ich, hat das Alien schon eine sehr gute
Beobachtung gemacht, dass es nämlich gesehen hat, also hier auf
der Welt leben Menschen miteinander zusammen, ohne permanent in
einen Konflikt zu geraten.Und das scheint etwas damit zu tun zu
haben, dass bestimmte Dinge, die normalerweise zum Konflikt
ständig führen würden, bestimmte Verhaltensweisen reguliert
werden.
Und das scheint man darüber zu machen, indem man so eine Art
Handlungsbereiche verteilt und zuordnet.
(Marc von der Linde)
Also in gewisser Weise machen Sie damit ja schon die
Interpretation des Begriffs als dieses zweischneidige Schwert
nach Berlin auf.
Das Alien versteht also, dass eine Interpretation des
Freiheitsbegriffs den Begriff von zwei Perspektiven her füllt und
daher die Konzepte der negativen und positiven Freiheit
entspringen.
Das Individuum soll sich frei entfalten können und benötigt daher
eine Freiheit von äußeren Zwängen. Bedeutet negative Freiheit
dann nur, frei von etwas zu sein?
(Dr. Philipp Schink)
Es gibt große Brüche in dieser Erzählung von Freiheit. Das 19.
Jahrhundert ist ein riesengroßer Bruch mit der Industrialisierung
und dem aufkommenden Kapitalismus. Da werden dann auf einmal ganz
andere Freiheitsprobleme virulent.
Aber das, was jetzt hier angesprochen ist, mit negativer Freiheit
und positiver Freiheit, geht erstmal auf eine Vorlesung zurück,
die ein Ideengeschichtler, der in Oxford gelehrt hat,
vorgeschlagen hat. Das ist Isaiah Berlin gewesen. Berlin hat
1958, meine ich, in einer Antrittsvorlesung eine Unterscheidung
vorgenommen, dass er gesagt hat, wir können eigentlich die
gesamte Ideengeschichte der Freiheit in einer klugen Weise unter
zwei Begriffe ordnen. Es gibt wesentlich mehr Begriffe, aber
diese beiden bieten so einen ganz guten Sortierungsvorschlag.
Und das eine ist unter dem Begriff der negativen Freiheit und das
andere unter dem Begriff der positiven Freiheit. Negative
Freiheit, und das ist ganz wichtig, ist tatsächlich etwas, was
wir heute als den Kern liberalen Freiheitsverständnisses
verstehen würden. Und es geht nicht darum, dass wir uns selbst
verwirklichen.Es bezeichnet tatsächlich etwas, dass wir von
anderen in bestimmten Handlungsbereichen nicht eingeschränkt
werden. Und es geht nur darum, quasi die Kernfrage, wie das dann
entwickelt ist.Was ist eigentlich der Bereich, in dem andere,
andere Individuen, der Staat, politische Parteien, Gruppen, was
auch immer man da einsetzen will - nicht eingreifen?
Und dann ist die zentrale Frage: Wie groß ist dieser Bereich, wie
klein ist dieser Bereich, in welcher Art und Weise wird er
verteilt, wird er gleich verteilt, wird er ungleich verteilt und
so. Das sind dann die klassischen Fragen, die mit negativer
Freiheit einhergehen.
Und das ist eine relativ, im Einzelnen immer kompliziert zu
verstehendes Konzept.Aber es ist verglichen mit dem, was sich in
unterschiedlichen Varianten mit dem Begriff positiver Freiheit
erschließen lässt, doch ein relativ schmales Konzept.
(Marc von der Linde)
Eine Auffassung des demokratischen Staates ist, dass der Staat
die gesammelten Werte und Interessen der Bevölkerung vertritt. Im
besten Falle ist der Staat also der Volkssouverän und doch wird
mit der Idee der negativen Freiheit klargestellt, dass das
Individuum geschützt werden muss vor der Willkür des Staates. Der
Schutz vor Willkür ist also ein relevanter Teilaspekt negativer
Freiheit. Negative Freiheit bezeichnet dann ja in gewisser Weise
auch immer diese Räume der Freiheit die geschaffen werden.
Dadurch wird das Individuum unabdingbar in Relation zu dem Rest
der Gesellschaft gesetzt. Und aufgrund dieser Gegebenheiten muss
Freiheit dann ja auch immer im Spannungsverhältnis zu den anderen
Individuen gedacht werden – wieso ist die Komponente der Anderen
für die eigene Freiheit essentiell?
(Dr. Philipp Schink)
Naja, es ist für den Freiheitsbegriff, würde ich sagen, gerade in
der liberalen Tradition essenziell. Weil so, wie wir das quasi
schon anhand dieses Alien-Beispiels angefangen haben zu
entwickeln, wird in dieser Tradition mit dem Begriff der Freiheit
versucht, das Verhältnis zwischen Menschen zu erschließen. Und es
wird dann gesagt, es ist ein Verhältnis, Menschen handeln
einander gegenüber und ich bin frei im Verhältnis zu einer
anderen Person, wenn die nicht in einen Handlungsbereich von mir
eingreift.
Also wenn die nicht in einer spezifischen Art und Weise mir
gegenüber handelt. Das ist so diese Kernkonzeption davon. Und
davon ausgehend wird dann quasi gesagt, dass die zentrale
politische Frage, erstmal weil nach der Demokratie ja gefragt
wurde, dass die zentrale politische Frage eine ist, immer wie
groß ist dieser Bereich.
Die zentrale politische Frage ist nicht, Welche Regierungsform
haben wir? Demokratie oder irgendwas anderes? Und hängt die
intrinsisch mit Freiheit zusammen? Da wurde immer gesagt, nein,
da gibt es einen ganz klaren Bruch zwischen. Es gibt zwischen der
Regierungsform und der Art und Weise, wie Freiheit gewährleistet,
allenfalls einen empirischen Zusammenhang.
Die meisten Liberalen würden natürlich sagen, empirisch gesehen
sind Demokratien eher freiheitsverbürgend als Autokratien oder
sowas. Aber auf der begrifflichen Ebene gibt es da nicht
unbedingt einen Zusammenhang. Und das versteht sich auch dadurch,
weil in dieser Tradition wird Freiheit als eine Art Abwehr
gegenüber dem Staat verstanden. Es ist gerade eine Abwehr
gegenüber einem politischen Übergriff.
Und das findet man dann sozusagen im 19. Jahrhundert ergänzt auch
als Freiheitsvorstellung, als eine Abwehr gegenüber
gesellschaftlichen Übergriffen. Klassisch ist das bei John Stuart
Mill oder sowas, wo das primäre Problem vielleicht gar nicht mehr
so sehr ist, inwieweit der Staat eigentlich in irgendwelche
Handlungsbereiche eingreift, sondern inwieweit Gesellschaften
normierend wirken. Und über Druck und Zwänge selber das
Individuum zu einer bestimmten erwünschten Verhaltensweise
bringen. Und dagegen wird dann Freiheit als ein ganz wichtiges
Prinzip angeführt. So ungefähr. Aber jetzt habe ich nicht alle
Punkte Ihrer Frage erschöpft vielleicht.
(Marc von der Linde)
Mit dem ersten Verständnis hat das Alien eine sehr idealistische
Idee von Freiheit bekommen, dass Freiheit etwas ist, was besteht
und das auch gewährt werden muss in Staaten.Nun konnte das Alien
in seiner kurzen Zeit, die es hier auf Erden ist, in Europa,
schon einige Beobachtungen anstellen. Es beobachtete, wie einige
Menschen diese Dimension des Anderen vergessen. Das Alien hat den
Eindruck bekommen, dass das Verständnis von Freiheit mancher
Menschen die Freiheit anderer Menschen bedroht.
Aber wenn die Anderen stets auch eine Rolle spielen im eigenen
Freiheitsverständnis oder eine Rolle spielen sollten, Freiheit
also stets auch um eine soziale Dimension des gesellschaftlichen
Zusammenlebens beschreibt, inwiefern braucht es dann eine
Kenntnis dieser Dimensionen?
(Dr. Philipp Schink)
Das ist eine sehr gute Frage und das ist auch eine sehr
komplizierte Frage. Und je nachdem, welches Freiheitsverständnis
man jetzt in Anschlag bringen würde, würde man sehr
unterschiedlich natürlich darauf antworten.
Wenn man jetzt so ein klassisch-liberales Freiheitsverständnis
nehmen würde - Und das bietet sich an, weil das
ideengeschichtlich oft so eine Art Default-Position ist. Von der
fängt man an und man muss aber auch sagen, dass es nicht nur eine
Default-Position ist, sondern das ist auch etwas, was wir in den
liberalen Verfassungsstaaten Europas sehr häufig finden.
Da ist es ein ganz klares Kernverständnis von liberaler Freiheit.
Und das findet man auch darin, dass zum Beispiel dem politischen
Prozess selbst Grenzen gesetzt werden. Dass gesagt wird, es gibt
ein bestimmtes Set an Rechten, das sind unsere
Kernfreiheitsrechte und wir entziehen dem politischen Prozess die
Möglichkeit, in diese Freiheitsrechte einzugreifen. In der
Bundesrepublik ist es zum Beispiel ganz klar das Grundgesetz.
Die ersten Artikel des Grundgesetzes, die selbst nur in einer
extrem schwierigen Art und Weise dem politischen Prozess selbst
zugänglich sind. Das ist ein Kerngedanke von einem liberalen
Verfassungsstaat.
Freiheitsrechte sind die Basis unseres politischen Gemeinwesens
und als solche sind sie dem politischen Zugriff selbst, sei er
nun demokratisch oder nicht, nicht verfügbar. Das ist so eine
Entzugsgestalt ganz stark. Aber wenn wir in dieser Linie jetzt
versuchen zu gucken, wie ist das eigentlich mit Freiheit und wie
ist es sozusagen mit einem sensiblen Umgang mit Freiheit, dann
ist der erste Zugang immer die Frage: Wie werden eigentlich
Freiheitsräume in einer Gesellschaft quasi positiv gefasst?
Normalerweise werden die über Rechte ausbuchstabiert, die
Individuen dann zukommen und auf die sie sich gegenüber anderen
oder gegenüber politischen Institutionen berufen können, also
individuelle Freiheitsrechte.
Und da könnte man einfach sagen, die Sensibilität wird hier quasi
staatlich garantiert. Also wenn es irgendwo zu Eingriffen in
meine Rechte kommt, dann kann ich sozusagen mir Schutz beim Staat
holen und in Form von Gerichtsverfahren oder was auch immer, oder
eben indem ich die Polizei rufe oder so, dafür sorgen, dass ich
in meine Rechte wieder eingesetzt werde. Das ist dieses eine
Problem.
Ich glaube, schwieriger wird es in einem anderen Bereich, wo es
um eine Art gesellschaftliche Sensibilität geht und wo es um das
geht, was wir eben schon da mit Hinweis auf John Stuart Mill vor
Augen hatten.
Erschöpft sich die Freiheit von Menschen auch in einer liberalen
Ordnung eigentlich in dem Haben von Freiheitsrechten oder sind
die selbst nur ein Teil von dem, was wir in der Gesellschaft dann
eigentlich als real empfundene Freiheit oder nicht empfundene,
sondern als reale Freiheit haben?
Selbst wenn ich nicht in den Freiheitsspielraum einer anderen
Person massiv eingreife, kann es trotzdem zu einer Form der
Beeinflussung kommen, die dazu führt, dass bei der anderen Person
massiv die Freiheit eingeschränkt wird.
Das ist immer diese Frage danach, was gilt eigentlich wirklich
als Eingriff in die Freiheit einer anderen Person. Das ist eine
unglaublich komplizierte Frage. Klassisch kann man sie ganz
einfach beantworten.
Es gibt zum Beispiel Fraktionen, die sagen einfach in der
Geschichte der Philosophie, naja, ein Eingriff ist es dann, wenn
ich willentlich eine Person zu etwas zwinge.
Zum Beispiel, indem ich ihr den Weg verstelle. Oder indem ich ihr
mit vorgehaltener Pistole sage, entweder du machst dies und das
oder jenes passiert. Oder indem ich staatlich sage, du übernimmst
jetzt, ich dekretiere, du übernimmst jene Religion. Punkt.
Hier haben wir es dann sozusagen mit dieser Idee zu tun, dass nur
Zwang Freiheit einschränkt, aber andere Formen nicht.
Zum Beispiel wird gesagt, dass wenn ich dir auf dem Markt, auf
dem freien Gütermarkt, Warenverkehr, wenn ich dir hier irgendeine
Möglichkeit wegnehme, weil ich das letzte Brötchen im Supermarkt
kaufe oder sowas, dann schränke ich dich nicht in deiner Freiheit
ein.
Weil ich hier nicht bewusst mit Zwang auf dich einwirke, um dir
etwas wegzunehmen.
Also da sehen wir ganz stark, dass bei dieser Freiheitsdiskussion
eigentlich ein Hauptaugenmerk daraufgelegt werden muss, was als
Eingriff gilt. Was gilt eigentlich als Freiheitseinschränkung?
Und dass das viel interessanter ist. Und da werden wir sofort
sehen, dass sich da Gesellschaften immer auf einem sehr dünnen
Grat bewegen. Weil es natürlich immer diese Frage ist, auch des
Einschränkens, Einschränkung muss immer aus zwei Perspektiven
betrachtet werden.
Und das ist diese Pointe an dem liberalen Freiheitsverständnis,
warum die immer denken, es ist eine Bezogenheit von Menschen
aufeinander.
Und es ist immer etwas, was wechselseitig gilt, sodass ich ebenso
gut meinetwegen sagen könnte, in einer heutigen Gesellschaft
fühlt sich eine Person durch abschätzige Blicke ganz massiv in
ihrer Ausdrucksfreiheit beschränkt.
Jetzt folgt aber umgekehrt daraus vielleicht nicht, dass, wenn
wir konzedieren, dass das eine Freiheitseinschränkung sein
sollte, zumindest wird sie anscheinend so empfunden, die Person
traut sich nicht mehr, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, weil
sie abschätzig geguckt wird.
Heißt das aber, wenn wir das als Freiheitseinschränkung
Rubrizieren, dass die anderen Personen nicht mehr abschätzig
gucken dürfen?
Und da merkt man sofort, dass oftmals an diesen liberalen
Freiheitsverständnissen diese Idee immer drin ist, wir versuchen
ein Verhältnis zwischen Menschen zu denken und wenn für die einen
das so ist, wie stellt sich das eigentlich für die anderen dar?
Und das sind dann diese spannenden Fragen, die wir in liberalen
Staaten die ganze Zeit zu diskutieren haben.
Wo fängt die Freiheit der einen Person an und wo fängt die
Freiheitseinschränkung einer anderen Person an?
Und wenn es eine Freiheitseinschränkung ist, wie gravierend
müssen wir das eigentlich denken? Wenn man das rechtlich
ausbuchstabiert, geht man natürlich um diese ganzen Formen
gesellschaftlicher Beeinflussung drumherum. Und sehr häufig ist
es aber so, dass, sagen wir mal, aus den Gruppen, die gerade
etwas als gesellschaftliche Sanktionen empfinden, dass selbst
wenn nicht massiv in deren Rechte eingegriffen wird, sie dennoch
den Eindruck haben, hier findet eine Form der Beeinflussung
statt, die wir als Freiheitseinschränkung erleben.
Und dann gibt es eine Diskussion darüber, Reicht eigentlich der
Rechtekanon aus, um dieses Problem zu diskutieren? Sind Rechte
überhaupt das adäquate Mittel, um das zu erschließen?
Können wir uns Freiheitseinschränkungen denken, wo das Antidot
sozusagen nicht das individuelle Recht ist oder das öffentliche
Recht, sondern vielleicht irgendetwas anderes?
Und das führt uns, glaube ich, zu so einem ganz interessanten
Punkt, weil in der Tradition des Freiheitsdenkens, in der
politischen Philosophie, wie wir das haben, wird vor dem 20.
Jahrhundert relativ selten von Autorinnen angenommen, dass
Freiheit der einzige und letzte Wert ist.
Sondern in der Regel wird davon ausgegangen, dass Freiheit ein
Wert unter anderen ist, Es ist aber nicht der Wert, auf den alles
zu reduzieren wäre. Und das ist von daher entscheidend, weil die
Leute relativ häufig gedacht haben, wir etablieren eine
freiheitliche Ordnung, aber in dieser freiheitlichen Ordnung, die
vor allem sozusagen über negative Abwehrrechte bestimmt ist,
legen wir trotzdem einen sehr hohen moralischen Maßstab
aneinander an, der nämlich dazu führen soll, dass wir miteinander
ein gutes moralisches Gemeinwesen haben - nach hohen moralischen
Ansprüchen.
Sodass wir zum Beispiel zwar nicht staatlich dazu gezwungen
werden, über hohe Steuern sozusagen eine halbwegs gerechte
Wohlstandsordnung zu erreichen, aber wir machen das freiwillig,
aus eigenem Antrieb.
Und das ist eine Idee, die sozusagen im 20. Jahrhundert ziemlich
an den Rand getreten ist, weil man dachte, naja, sobald der
staatliche Zwang weg ist, bin ich auch zu nichts mehr
verpflichtet.
Das ist im klassischen Liberalismus zum Beispiel überhaupt nicht
so gesehen. Da gibt es die Idee, dass man sagt, naja, es darf
keinen staatlichen Zwang in diesen Bereichen geben, weil das in
the long run dazu führen würde, dass die moralische Motivation
von Menschen eigentlich unterminiert werden würde. Weil wenn ich
dazu gezwungen werde, ich kürze das mal ab, Gutes zu tun, oder
das Richtige zu tun, dann führt das dazu, dass meine Motivation
ersetzt wird.Ich habe nicht mehr die moralische Motivation, etwas
richtig zu tun, sondern ich habe auf einmal die Motivation, dass
ich keine staatlichen Sanktionen mehr leiden will. Und dann führt
das dazu mit der Zeit, dass quasi die moralische Motivationen
insgesamt in der Gesellschaft nachlässt.
Und dann, wenn es in irgendeiner Weise von der Gesellschaft eine
Art Einspeisungsmechanismus auf die politische Ebene gibt, dann
führt das dazu, dass natürlich dann auch auf dieser Ebene
Veränderungen vorgenommen werden und wir sozusagen insgesamt in
eine amoralische Gesellschaft hineinsteuern.
Das ist ein wichtiger Punkt, den man, glaube ich, immer ergänzend
im Kopf haben muss, wenn man über Freiheit in der Tradition
negativer Freiheit nachdenkt. Also es wird nicht alles mit dem
Freiheitsbegriff versucht zu erschließen. Das hat eine ganz
spezifische Funktion, aber innerhalb einer moralischen Ordnung,
in der es andere Werte gibt, die eine spezifische Rolle da auch
erfüllen, nur will man die alle nicht sozusagen mit dem Begriff
der Freiheit erschließen. Das ist wichtig.
Also Freiheit muss man immer im Verhältnis zu anderen Werten
denken und muss immer gucken, ob das sozusagen sowas ist, wie der
Wert, auf den alle anderen Dinge zu reduzieren wären, oder ob es
etwas ist, was im Verhältnis zu anderen immer wieder
ausbuchstabiert werden soll.
Und um den Bogen sozusagen zu dieser klassischen Vorlesung von
Isaiah Berlin zu ziehen - der hat dann eine ganz starke
Auffassung, dass er sagt, na klar, in dieser Tradition wird immer
gesagt, Bier ist Bier und Schnaps ist Schnaps, Freiheit ist
Freiheit und Gerechtigkeit ist Gerechtigkeit.
Und Gleichheit ist Gleichheit und wir dürfen diese Werte nicht
miteinander verwechseln, aber es sind Werte, die alle eine hohe
Bedeutung haben.
Und Dann gibt es also im Prinzip Prämissen von Freiheit, die
dieses Freiheitsverständnis erst ermöglichen.Also Freiheit dient
einer Art Etablierung von einer grundlegenden
Interaktionsstruktur. Aber diese Interaktionsstruktur ist
tatsächlich grundlegend und die erschöpft nicht das Gesamte des
menschlichen Miteinander.
Sondern die Freiheit soll das absichern in einer gewissen Art und
Weise. Und die soll es uns möglich machen, also jetzt ganz
pathetisch formuliert, so eine Struktur soll es uns möglich
machen, dass wir selbst moralische Motivation zum Beispiel
ausbilden können. Weil wir die nicht unter Zwangsverhältnissen
ausbilden.
Das ist so eine zentrale Idee. Das heißt, wenn man diesen - du
merkst jetzt auch, ich versuche eine bestimmte liberale Tradition
gegen natürlich andere liberale Traditionen stark zu machen.
Mir scheint das vor dem aktuellen Hintergrund, wie aktuell in der
Bundesrepublik der Liberalismus behandelt und diskutiert wird,
immer wichtig zu machen, dass es in der Tradition des
Liberalismus diese Ausrichtung auf moralisches Handeln gegeben
hat und dass man nicht dachte, dass Freiheitshandeln, das
erschöpft.
Nur der Rekurs darauf, dass etwas mein Freiheitsrecht ist, ist im
klassischen Liberalismus keine letztgültige Antwort auf die
Frage, dass es moralisch gerechtfertigt ist. Das sind zwei
unterschiedliche Sachen.
Aktuell hat man den Eindruck, im bundesdeutschen Liberalismus
oder von dem, was es da noch so ein bisschen gibt, wird genau das
so gedacht. Wenn das meine Freiheit ist, dann darf ich das. Dann
erübrigt sich da auch alles andere. Dann kann ich rumknattern auf
der Autobahn, wie ich will. Ob das schädliche Konsequenzen für
irgendjemanden hat, ist mir doch egal, ist mein Freiheitsrecht.
Und da merkt man immer wieder ein bisschen, in der aktuellen Zeit
wird negative Freiheit und die Tradition liberalen
Freiheitsdenkens oft partiell und selektiv herangezogen, damit
man die eigene Asozialität nobilitieren kann. Damit man der so
ein bisschen einen begrifflichen Hallraum oder sowas geben kann.
Aber eigentlich versteht man das darum, dass man sagt, ich will
einfach nur machen, was ich darf und das genau zeigen
Freiheitsrechte.
Da ist natürlich was dran, denn Freiheitsrechte haben schon
natürlich die Idee, Abwehr gegenüber staatlichen Eingriffen oder
auch gegenüber gesellschaftlichen Eingriffen zu schaffen. Und
natürlich ist sozusagen die eine Seite davon, klar darf ich da
drin machen, was ich darf. Aber es enthebt einen eben nicht von
anderen moralischen Fragen, sondern es eröffnet die in einer
gewissen Art und Weise.
Liberale Freiheit, klassisch verstanden, sichert einen Raum, dass
Menschen selbst freiheitlich moralische Motivationen ausbilden
können und die dann auch wirklich nur haben. Also entweder
moralische Motivationen hat man in dieser Art und Weise oder man
hat sie gar nicht.
Also wenn man gezwungen wird, ist diese Frage sozusagen
vollkommen obsolet.
(Marc von der Linde)
Das Alien versteht immer mehr, dass Freiheit auch dementsprechend
in gewisser Weise ein innerer Zustand ist, der kultiviert werden
muss, also eine gewisse innere Moralität in den Individuen, die
kultiviert eine Art Prägung der Wahrnehmung des In-der-Welt-Seins
ist.
Ist die Freiheit, also auch ein Selbstverständnis des
Individuums, dass es seiner selbst und aller umgebenden
Individuen als Wesen bewusst ist? Und aller Wesen als mit
innewohnender, vor allem der Menschenwürde im Klaren ist, die es
durch das Gewähren, Nehmen und Anbieten von Räumen sich und
anderen Wesen gewähren sollte?
(Dr. Philipp Schink)
Das ist eine sehr spannende Frage.
Also in der Tradition, ich bleibe jetzt einfach mal bei der
Beantwortung in dieser Unterscheidung, die Isaiah Berlin
vorgeschlagen hat, die ist nicht letztgültig und kann auch aus
verschiedenen Perspektiven wirklich gut kritisiert werden, aber
sie hilft uns erstmal so ein bisschen das Feld zu bestimmen.
Das, was du jetzt beschreibst, würde ich gerade nach der Frage
der inneren Moralität oder nach einem Verständnis, ich denke, du
willst auf die Menschenwürde hinaus, dass Menschen einander
wechselseitig als Träger von Würde verstehen und dass dieses
Werthaben, was damit zum Ausdruck kommt, tatsächlich nicht in
irgendeiner Weise an bestimmte Handlungen gebunden ist.
Es ist halt keine Verdienstkonzeption von Menschenwürde oder
sowas. Und ob Freiheit auch damit was zu tun hat, dass ich erst
dann frei bin, wenn ich eine Sicht auf die Welt habe, in der ich
quasi alle Menschen als Träger von Würde wahrnehme?Da würde ich
sagen, das hat mit einer ganz spezifischen, so ein Denken gibt es
und das hat mit einer Tradition von positiver Freiheit ganz stark
zu tun.
Positive Freiheit ist quasi eine Freiheit, bei der es klassisch
im politischen Bereich darum geht, zu bestimmen, wer die
Kontrolle eigentlich, über die Bestimmung von bestimmten
Handlungsbereichen oder Gesetzen oder irgendwas anderes zu tun
hat.
Also wo es um Kontrolle geht, wer ist eigentlich in Charge? Und
das kann dann auf der individuellen Ebene ausgeführt werden, dass
man sagt, wer ist eigentlich Herr im eigenen Haus oder Herrin im
eigenen Haus? Oder du kannst es auf der politischen Ebene führen.
Und dann gibt es klassische Angebote, dass du sagst, naja, es ist
die Demokratie , es ist das Volk, was in irgendeiner Weise, und
dann kann man das radikal-demokratisch oder
repräsentationslogisch oder wie auch immer ausdeuten, aber da
gibt es dann unterschiedliche Antworten darauf, was es eigentlich
bedeutet, die Kontrolle über etwas zu haben, in dem politischen
Bereich.
Wenn du jetzt auf diese Verbindung mit innerer Moralität
eingehst, würde ich sagen, ist das ein bestimmtes Verständnis von
positiver Freiheit, was vielleicht ein bisschen einen
kantianischen Hintergrund hat und wo man vielleicht sagen könnte,
dass ganz abstrakt formuliert ist eine Vorstellung, dass ich erst
dann frei bin, wenn ich meine eigene Handlungen durch gute Gründe
bestimme.
Was immer wir unter guten Gründen verstehen - aber es bindet
sozusagen die Freiheit in meine Handlungen, meine Entscheidungen
selbst nochmal an ein anderes Kriterium. Das ist jetzt dieses
unterbestimmte „Gute Gründe Kriterium“.
Die Frage ist immer, wenn wir uns solche Definitionen anschauen,
eigentlich ist dagegen, glaube ich, nichts zu sagen, gegen diese
Idee, wir sollten uns durch gute Gründe bestimmen lassen.
Aber die spannende Frage ist ja in diesem Bereich, was hat das
eigentlich mit Freiheit zu tun?
Ist eigentlich die Idee, dass wir uns selbst durch gute Gründe
bestimmen lassen, etwas, was wir am besten über Freiheit
erschließen, oder ist es etwas, was wir über ganz viele andere
Möglichkeiten erschließen?
Da gibt es tatsächlich so eine Bifurkation in der
Freiheitsdebatte, dass auf der einen Seite gesagt wird, nein, das
hat gerade nichts damit zu tun: Das ist quasi Tradition negativer
Freiheit, weil genau in dieser Idee sieht man quasi die
Möglichkeit von der Legitimierung politischer Herrschaft.
Und politische Herrschaft hier jetzt in einem nicht neutralen
Sinn verstanden, sondern als etwas, was Menschen massiv
einschränkt, was über Hierarchien funktioniert und wo Menschen
der Macht anderer Personen unterworfen sind.
In dieser Tradition positiver Freiheit gibt es oft dieses Denken,
dass nicht die Macht von Menschen übereinander ein Problem ist,
sondern nur wenn von dieser Macht in einer bestimmten Art und
Weise gebraucht gemacht wird oder nur wenn diese Macht in einer
bestimmten Art und Weise entsteht.
Und das ist eine große Differenz darin.
Aber wenn du, also deswegen die erste Antwort sozusagen, nein,
ich glaube nicht, dass irgendeine Form von innerer Moralität
etwas mit Freiheit zu tun hat, in der einen Tradition.
In der anderen Tradition, na klar, da ist das sozusagen, ist das
die Conditio sine qua non, auf der wir uns überhaupt verstehen.
Da wird gesagt, ich verstehe die anderen Akteurinnen überhaupt
nicht als Akteurinnen, wenn ich nicht verstehe, dass sie
Akteurinnen mit einem bestimmten quasi moralischen Status oder
sowas sind.
Die Frage ist immer so unglaublich, diese spannende Frage in
diesem Kontext ist, wenn wir Freiheit an das Haben von
irgendetwas anderem binden, was ermöglicht das dann eigentlich?
Was ermöglicht uns das begrifflich? Welche Phänomene können wir
damit gut erschließen? Und welche Begriffe und Phänomene können
wir damit nicht mehr gut erschließen?
Und vielleicht kann man sas an einem kleinen historischen Sprung
zurück verdeutlichen.
Während der Corona-Pandemie gab es eine ganze Reihe von
Diskussionen, ob eigentlich das Impfen, die Ausgangssperren und
diese Sachen, ob das eigentlich Freiheitseinschränkungen sind
oder nicht.
Und es gab einen Teil von Leuten, die gesagt haben, das ist eine
massive Freiheitseinschränkung und ein anderer Teil, und das
waren interessanterweise auch Philosophinnen, haben gesagt, nein,
es handelt sich hier überhaupt um keine Freiheitseinschränkung,
denn das ist vernünftig geboten, dass wir uns hier jetzt zum
Impfen gehen, weil das Impfen ist der Weg, wie wir am besten
diese Corona-Pandemie bewältigen können. Und daran sieht man das
schon ein bisschen.
Das bedeutet natürlich, wenn ich sage, dass das Freiheit jetzt
gerade ist, Also mit guten Gründen hier zu handeln und ich
unterstelle jetzt einfach mal, dass das gute Gründe sind.
Ist natürlich erstmal immer real, ist es ein guter Grund oder ist
das kein guter Grund? Wie legt man das einfach fest? Der Hinweis
darauf, dass wir das alles im vernünftigen Diskurs klären, ist
nur so mittelerfolgreich, denke ich, und macht es sich ein
bisschen leicht am Ende des Tages.
Aber auf der anderen Seite, was man natürlich darin hat, und das
ist grundsätzlich ein Problem an positiver Freiheit, wenn ich die
Definition von Freiheit an so etwas wie gute Gründe oder eine
gelungene Selbstverwirklichung oder eine gelungene
Selbstbestimmung, eine Autonomie oder irgendwas anderes binde:
Dann kegel ich einen ganzen Bereich von anderen
Freiheitsverständnissen damit raus. Und im öffentlichen Diskurs
kegel ich damit eine Möglichkeit raus, dass sich Menschen im
Rekurs auf diesen Freiheitsbegriff in einer öffentlichen Debatte
zur Geltung bringen können, weil ich denen schon sage, ihr habt
doch ein falsches Freiheitsverständnis.
Das heißt, worauf ihr euch beruft, das ist überhaupt nicht
Freiheit, sondern ihr beruft euch eigentlich sozusagen auf die
falschen Gründe und damit ist es bei euch nur ein Ausdruck von
Unfreiheit. Und das Problem ist eben, dass wir zu einer Art
linguistischen Entfähigung kommen.
Und dadurch haben Leute überhaupt nicht mehr die Möglichkeit, in
irgendeiner Weise Dinge zu artikulieren, Unbehagen oder irgendwas
anderes. Und das ist, glaube ich, politisch wirklich ein Problem.
Also im Alltag ist es ein Riesenproblem, wenn man das Menschen
nimmt. Man kann immer noch natürlich in der Freiheitsdiskussion
sagen, klar, das ist eine Freiheitseinschränkung, aber es ist
eine gerechtfertigte Freiheitseinschränkung. Aber erstmal lässt
man sozusagen hier so eine Art Artikulation von Unbehagen und
Leid zu. Und man verschiebt das dann auf eine andere Stelle.
Bei der anderen Sache nimmt man Menschen das einfach. Da sagt man
einfach, okay, ihr habt einfach die falschen Gründe. Das sind
immer diese Gefahren, die damit einhergehen und warum die Wahl
von einem bestimmten Freiheitsverständnis durchaus starke
praktische Implikationen hat.
(Marc von der Linde)
Das Alien wird sich während seiner Zeit hier in Europa mehr und
mehr auch bewusst, dass das eigene Bewusstsein und die
moralischen Fähigkeiten zwar nicht entscheidend sind zur Chance
der Freiheit.
Viele Handlungen des Individuums sind auch abhängig von anderen.
Der Mensch, komplett auf sich gestellt, ist dann doch ein nacktes
Tier, das vielleicht von Freiheit träumen kann. Aber um frei
leben zu könne, sind Menschen doch auf institutionelle
Einrichtungen angewiesen. Das kommt ein Stück weit jetzt zurück
auf die, was Sie eben schon angesprochen hatten, dass es gewisse
Rechtsauslegungen gibt von Freiheit. Aber wie sind da die
Verhältnisse?
(Dr. Philipp Schink)
Das ist eine spannende Frage und in dieser Frage werden jetzt
ganz viele unterschiedliche Sachen angesprochen. Ich würde sagen,
da werden drei Sachen angesprochen.
Erstmal ex negativo wird da so eine Art Freiheitsverständnis, was
es auch ganz stark gibt, was es ganz stark in der Literatur gibt,
was es aber auch in diesen ganzen, ich kaufe mir ein Haus in den
italienischen Alpen und meine Nachbarn sind zehn Kilometer
entfernt, YouTube-Videos gibt, so eine Art Into the Wild-Videos.
Ein Freiheitsverständnis, was im Kern so eine Art
antizivilisatorischen Freiheitsimpuls hat. Also frei bin ich nur,
wenn ich tatsächlich frei von gesellschaftlichen Zwängen bin.
Wann bin ich frei von gesellschaftlichen Zwängen? Wenn ich in der
Natur vor mich hinlebe. Das andere ist ein weiteres wichtiges
Kriterium, was da in der Frage angesprochen wird, ist diese Frage
wechselseitiger Beeinflussung.
Und das ist wieder diese Frage, wann wird eigentlich etwas zur
Freiheitseinschränkung und wann wird etwas nicht zur
Freiheitseinschränkung.
Ein klassisches Beispiel können wir machen, wir beide adorieren
eine dritte Person. Diese dritte Person entscheidet sich aber nun
unglücklicherweise für dich als Lebenspartner. Und ich gucke blöd
in die Wäsche. Mein Leben ist massiv, meine Lebensvorstellungen
sind massiv durch diese Partnerwahlentscheidung beeinflusst.Ist
das jetzt eine Freiheitseinschränkung? Dass ich sozusagen nicht
mit der von mir adorierten Person zusammenleben kann? Das sind
dann so Fragen, wo man genau navigieren muss.
Okay, wir beeinflussen uns ständig. Wir sind Wesen, die ständig
aufeinander Einfluss nehmen. Wo ziehen wir eine Grenze? Wo ist
diese Form der Beeinflussung jetzt eine Freiheitseinschränkung
und wo wollen wir die gesellschaftlich sanktionieren und wo
nicht?
Und das ist, glaube ich, in letzter Instanz immer eine normative
Entscheidung. Das heißt, das Faktum der Beeinflussung sagt mir
nichts über eine Freiheitseinschränkung oder nicht aus. Und die
Frage, wo man das genau zieht, ist oft eine normative
Entscheidung.
Das bringt uns zu einem riesengroßen Problem natürlich zurück,
dass wenn Freiheitsverständnisse selbst schon immer auf
moralischen Entscheidungen basieren, dann scheint der
Freiheitsbegriff selbst relativ wenig leisten zu können. Weil
dann ist er abhängig von moralischen Entscheidungen, die aber
nicht mit dem Freiheitsbegriff selbst erschlossen werden.
Deswegen ist es ein Riesenproblem, wenn man diesen Weg der
Unterscheidung geht. Und da ist große Vorsicht geboten und es
gibt viele Gründe, die dafürsprechen, dass man ein nicht
moralisches Verständnis von Freiheit hat.
Das Dritte, was in der Frage angesprochen wird, ist nochmal diese
klassische Frage von Freiheit und Unabhängigkeit.
Also inwieweit ist Freiheit eigentlich sowas wie ein Antonym von
Abhängigkeit oder so und wie buchstabieren wir das dann aus?
Das ist nochmal was anderes als diese Vorstellung, dass ich erst
in so einer Robinsonade wirklich frei bin, weil ich dann
keinerlei gesellschaftliche Beeinflussung mehr habe.
Und auf der anderen Seite ist es auch nochmal eine andere Frage
als die Frage, wo verläuft eigentlich eine Grenze der
Beeinflussung, wo ist es freiheitsrelevant und wo ist es nicht
freiheitsrelevant. Eine Abhängigkeit ist da gegeben, wo ich in
einem mehr oder weniger essenziellen Lebensbereich anderen
unterworfen bin und auf deren guten Willen angewiesen bin oder
nicht.
(Marc von der Linde)
Dass das Individuum in gewisser Weise vielleicht darauf
angewiesen ist, dass es vielleicht auch demokratische,
rechtsstaatliche Institutionen gibt, die diese Freiheiten eben
gewähren. Oder ob es da überhaupt einen Zusammenhang gibt.
(Dr. Philipp Schink)
Spannende Frage. Wie oft in dieser Freiheitsdiskussion kann man
nur sagen, es hängt davon ab. Und es hängt davon ab, was man für
ein Freiheitsverständnis hat.
Hat man so ein liberales Freiheitsverständnis, wie Isaiah Berlin
zum Beispiel vorgestellt hat, dann sagt man, das ist ein
kontingenter Zusammenhang zwischen Freiheit und
Freiheitsgewährung.
Da besteht kein begrifflicher Zusammenhang, sondern das ist eine
Angelegenheit sozusagen der Empirie. Und dann können wir in die
Welt gucken und können sagen, diese und jene Staatsform schafft
es besser als diese andere Form oder wenn überhaupt keine Staaten
da sind, diese und jene Organisation von Gemeinschaften schafft
es besser als jene oder andere Organisationen. So, da gibt es
keinen begrifflichen Zusammenhang.
In der Transition positiver Freiheit gibt es ganz oft diese Idee,
gerade in so einer autonomie-theoretischen oder
Selbstbestimmungsidee, dass gesagt wird, von der individuellen
Freiheit und den Ansprüchen individueller Selbstbestimmung können
wir einen Überschlag machen auf die Form von kollektiver
Selbstbestimmung.
Und dann ist Freiheit und die Gewährung von Freiheit intrinsisch
verbunden mit einer bestimmten politischen Form, nämlich in der
Regel einer, die kollektive Selbstbestimmung ermöglicht. Und das
ist meistens eine Demokratie. Und dann kann man natürlich sagen,
klar, ist dann eine demokratische staatliche Ordnung möglich.
Eine zwangsbewährte Ordnung in diesem Punkt ermöglicht dann
überhaupt eine Gewährleistung eines bestimmten etablierten und
demokratisch verabschiedeten Sets von Freiheitsrechten oder
Freiheitsmöglichkeiten. Und die ist gegeben, dass Leute sich
darin bewähren können. Dann ist es natürlich eine riesenspannende
Diskussion, dass man nochmal sagt, naja - Wie ist eigentlich das
Verhältnis zwischen Freiheit und Rechten genau gesehen? Ist das
einfach eine kontingente Art der Positivierung von Freiheit?
Die könnte aber auch in andere Art und Weisen gewährleistet
werden. Oder hängt an diesem Rechtscharakter wirklich mehr dran?
Dass es das Einzige ist, was wir sozusagen haben, um Freiheit
wirklich positiv und auf Dauer zu bringen.
Und das hat damit was zu tun, bin ich frei in dem Verhältnis zu
anderen Personen, wenn nur faktisch eine andere Person nicht in
meine Bereiche eingreift. Denn dann könnte ich mir eine
Gesellschaft vollkommen ohne positive Rechte vorstellen. Dann
könnte ich mir eine Gesellschaft vorstellen, die aus lauter
gutwilligen Menschen besteht und die alle zwar über
unterschiedliche Stärke und Macht einander gegenüber verfügen,
aber die selber, weil sie halt gutwillig sind, niemals davon
Gebrauch machen würden.
Dann brauche ich überhaupt keine Rechte. Wenn ich mir quasi eine
Welt vorstellen könnte von lauter solchen Individuen, wozu dann
erfüllen Rechte keine Funktion mehr, sondern es ist einzig der
gute Wille, der dann da zählt.
Oder nehme ich Abstand von so einer Vorstellung. Abstand von so
einer Vorstellung zu nehmen, kann man sozusagen auch aus
heuristischen Gründen. Weil man denkt, naja gut, ein freies
Verhältnis zu einer anderen Person zu haben, scheint doch was mit
einer Dauerhaftigkeit von diesem Verhältnis zu tun zu haben. Und
nicht nur von dem Moment des Nicht-Eingreifens in das Leben einer
anderen Person. Ich bin doch erst dann, und ein berühmter
Philosoph Philip Pettit hat das mal gesagt, ich bin doch erst
dann frei im Verhältnis zu einer anderen Person, wenn ich der
Person in die Augen schauen kann.
Und in die Augen schauen ist natürlich, Pettit verfolgt so einen
Neorepublikanismus, das heißt, da ist eine Menge sozusagen
republikanisches Pathos dabei, wenn ich erst einer potenziell
mächtigeren Person in die Augen sehen kann und hohl lachend
sozusagen sagen kann, ich mache nicht das, was du willst. Das ist
damit gemeint.
Und dann ist diese Vorstellung, das kann doch erst noch, wenn wir
das haben wollen, dann müssen wir Instrumentarien in die Welt
bringen, die genau diesen Aspekt schaffen zu gewährleisten.
Stabile Charakteristika von Verhältnissen, die nicht von den
Kontingenzen der Gutwilligkeit oder so abhängen.
(Marc von der Linde)
Das Alien konnte in Europa und in den meisten anderen Staaten der
Welt große Unterschiede in den Zugängen der Individuen zu
materiellem Wohlstand erkennen. Das Alien ist verwundert darüber,
dass es von staatlicher Seite eine so starke Hervorhebung der
Relevanz von Freiheit gibt - und dann die Unterschiede im Grad
der Freiheit der Menschen so unterschiedlich sind, dass es fast
den Anschein bekommt, es gäbe verschiedene Arten von Freiheiten.
Inwiefern hängen das in kapitalistisch geprägten Gesellschaften
vorherrschende Verständnis von Freiheit in Bezug auf Konsum und
politische Freiheiten zusammen?
(Dr. Philipp Schink)
Je nachdem, was man für ein Freiheitsverständnis eigentlich
überzeugend findet, kommt da eine ganz unterschiedliche Antwort
auf diese Frage raus. Wenn ich davon ausgehe, dass zum Beispiel
das Recht auf Privateigentum und damit jetzt auch nicht nur
sozusagen das Recht auf, ein nicht weiter bestimmtes oder
qualifiziertes Recht auf Privateigentum, ein ganz wesentliches
Freiheitsrecht ist - und das ist in liberalen Gesellschaften so,
es ist als ein Menschenrecht sogar niedergelegt -dann werde ich
davon ausgehen müssen, dass in Gesellschaften immer massive
Machtunterschiede sind. Menschen produzieren etwas, beeinflussen
durch ihre Produktionsentscheidungen, wo wird etwas investiert,
welche Arbeitsplätze schaffe ich, und dadurch werden massiv
andere Menschen natürlich in ihrem Leben beeinflusst.
Jetzt ist die Frage, ist das eine Freiheitseinschränkung, was da
stattfindet, oder ist das nur eine dieser vielen
Beeinflussungen?Das hängt natürlich davon ab, was ich als
Freiheit dann an diesem Punkt verstehe und wie ich denke, dass
das positiviert wird.
Wenn man jetzt mal davon ausgeht, dass Freiheit eigentlich mal
dazu da war, ein Verhältnis zwischen Menschen zu bestimmen, bei
der die eine Seite nicht der Macht der anderen unterliegt, dann
komme ich relativ schnell auf die Idee, dass ein Set von
Freiheitsrechten, was unterschiedliche ökonomische
Machtmöglichkeiten ermöglicht, oder unterschiedliche Macht,
Potenziale oder sowas ermöglicht, dass das nicht freiheitlich zu
bezeichnen ist, sondern dass es da massiv zu
Freiheitseinschränkungen kommt von Menschen und dass das nicht
neutral ist.
Die Frage ist, wie erklärt man das eigentlich? Erklärt man das
so, dass man sagt, naja, zur Freiheit, ich bin doch erst dann
frei, wenn ich auch die Möglichkeiten habe, bestimmte
Vorstellungen in meinem Leben umsetzen zu können. Das kann man in
einer exzentrischen Weise machen.Nur bin ich erst dann frei, wenn
ich die Möglichkeiten habe, meine hochidiosynkratischen
Vorstellungen eines guten Lebens zu verfolgen.
Oder ist Freiheit doch etwas, was immer sagt, nein, wir müssen
diese Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stellen, immer im
Hinblick auf andere Akteure, zu denen wir uns in einem Verhältnis
befinden, entwerfen.
Sodass wir dann immer fragen, naja klar, Freiheit ist eine
Angelegenheit in der Welt, in der wir leben, der Verfügung über
materielle Güter. Aber immer im Hinblick auf andere Menschen, die
auch in dieser Welt über materielle Güter verfügen. Sodass es
sozusagen trivial formuliert ist, wenn ich eine Arbeiterin bin,
und ich bin auf Gedeih und Verderb jemandem ausgeliefert, mich
anzustellen, weil es keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten
oder sowas gibt, und diese andere Person hat die Möglichkeit,
sozusagen den Daumen zu heben oder zu senken und über die
Lohnhöhe völlig zu bestimmen, oder im Rahmen von
innerkapitalistischer Konkurrenz, dann wäre es doch absurd zu
sagen, dass ich im Verhältnis zu dieser Person frei bin.
Wenn wir sozusagen in einem Staat mit anderen Freiheitsrechten
leben würden, bin ich sicherlich im Verhältnis zu anderen Dingen
frei. Also die Person könnte mir nicht meine religiösen
Überzeugungen oder sowas diktieren. Aber sie kann massiv in mein
Leben eingreifen und das hat natürlich massive Auswirkungen auf
gesellschaftliche Ordnungen. Verteidigerinnen von einem harten
liberalen Freiheitsverständnis würden natürlich sagen, ja, das
mag alles sein, dass das Beeinflussungen sind. Aber wir
erschließen das nicht mit dem Freiheitsbegriff, sondern das ist
ein anderer Satz. Und da muss man darüber reden, warum sollte man
einen anderen Begriff nehmen. Ein guter Grund, das mit dem
Freiheitsbegriff zu erschließen, ist natürlich, weil es so ein
zentraler Wert ist.
Und er hat auch eine Funktion. Wenn ich über
Freiheitseinschränkungen in der politischen Debatte rede, hat das
eine ganz andere Funktion. Da gehen die Alarmglocken an. Das ist
was anderes, als wenn ich sage, das ist einfach nur sozusagen ein
unpleasant behavior of someone else oder sowas. Das ist so ein
bisschen Diskussion.
Aber im Kern, genau, ist es die Frage: Hat Freiheit was damit zu
tun, dass ich bestimmte Lebensmöglichkeiten, ein bestimmtes
Lebensniveau habe, ja oder nein? Kern negativer Freiheit würde
sagen, nein, das hat damit nichts zu tun. Zweite Frage ist, wenn
es was mit materiellen Gütern dennoch zu tun hat, in welcher
Weise hat es was damit zu tun? Und da kann man dann sagen, es hat
vielleicht was damit zu tun, dass das Verfügen über materielle
Güter eine Auswirkung darauf hat, was für eine Stellung ich
vis-à-vis anderen gegenüber habe.
(Marc von der Linde)
Zerstört die scheinbare maßlose Konsumfreiheit einiger weniger
Bevölkerungsgruppen nicht grundlegende Freiheiten vieler anderer?
(Dr. Philipp Schink)
Naja, real auf alle Fälle.
Also so wie die Welt beschaffen ist, kann man sagen, natürlich.
Konsumgesellschaften haben ein unheimlich großes
Produktionsniveau. Dieses Produktionsniveau ist auf irgendwelche
Ressourcen angewiesen. Und die werden da vernutzt. Und jetzt kann
man natürlich sagen, die Welt ist endlich. Das ist das
grundsätzliche Problem, das Vernutzen von Ressourcen allgemein.
Und dann kann man immer die Frage stellen, muss es 25
Vanille-Joghurts geben, was ist denn das? Reicht da nicht ein
Joghurt und die Ressourcen für die 24 anderen, die benutzt man
meiner Meinung nach nur für Kirschjoghurt dann. Das ist die eine
Frage.
Die andere Frage ist natürlich, wenn man eine Konsumkultur hat in
der Produktion negative Konsequenzen, negative Folgen für andere
hat. Also Produktion bedeutet Vernutzung, bedeutet Umwandlung und
das bedeutet normalerweise irgendeinen Ausstoß von Abgasen, CO2
oder irgendwas und das hat massive Folgen für andere Produkte.
Es ist klar, mit der Industriegesellschaft sind all diese
negativen Externalitäten sozusagen durch die Decke gegangen und
jetzt haben wir den Salat mit dem massiven Klimawandel und
sozusagen den Folgen, die wir tagtäglich in der Welt beobachten
können und die natürlich die Schwächsten der Schwachen immer
zuerst treffen und nicht die Gesellschaft mit einem extrem hohen
Wohlstandsprofil. Ausnahme kann jetzt durch diese
Starkwetterereignisse sein, die man ja sieht, vom Ahrtal bis
jetzt zu Valencia oder sowas hin. Da trifft es ja jetzt nicht
sozusagen global gesehen die Schwestern der Schwachen.
Eine zweite Frage ist aber natürlich, und darauf geht, glaube
ich, die Frage ja auch hin, inwieweit eine Konsumfreiheit
eigentlich, selber Freiheit am besten ausdrückt.Und da könnte man
sagen, naja, Freiheit wird in diesem, in so einem Verständnis
wird Freiheit als Funktion, der mir offenen stehenden
Wahlmöglichkeiten begriffen.Je mehr Wahlmöglichkeiten ich habe,
umso freier bin ich.
Auch hier, was spricht eigentlich für so ein
Freiheitsverständnis? Ein ganz trivialer Hinweis ist zu sagen, es
ist ein bisschen komisch, wenn wir das als Funktion einfach von
offenen Wahlmöglichkeiten haben, wir würden die doch gerne
qualifizieren können. Also was wir eben schon hatten, wenn ich
25-mal mehr oder weniger die gleiche Option habe, dann scheint
das ein komisches Freiheitsverständnis zu sein.
Und das wird relativ häufig in der Kapitalismuskritik
vorgebracht, dass gesagt wird, der Kapitalismus ist eine Maschine
zur Produktion des Immergleichen mit leichter Differenz. Und
dadurch kommt es zu einer wahnsinnig unsinnigen Form von
Allokation gesellschaftlicher und natürlicher Ressourcen. Und das
ist quasi eine nicht sonderlich gute Art und Weise, damit
umzugehen.
Ist Freiheit hier wirklich das zentrale Problem? Ich würde sagen,
als Ridikülisierung oftmals ab den 50er Jahren dieses American
Way of Life und des Fordismus und Taylorismus und dieser damit
zusammenhängenden sozusagen aufsteigenden Konsumgesellschaft, da
mag das vielleicht so ganz nett sein. Insgesamt, glaube ich, ist
dieser Zugang zur Freiheitsthematik oder auch diese Kritikweise
ein bisschen stumpf geworden oder sowas.
Diese große Frage, die vielleicht dahintersteht, ist ja,
inwieweit wir selbst wenn wir ein bestimmtes Freiheitsrecht
haben, an uns Ansprüche wechselseitig anlegen sollten, dass wir
von diesem Freiheitsrecht nur in einer ganz gewissen Weise,
nämlich in einer reflektierten Weise Gebrauch machen sollen.
Und das Problem, glaube ich, besteht natürlich weiterhin. Nur
weil wir dahin gekommen sind, dass wir sage, wir wollen uns nicht
wechselseitig vorschreiben, was wir für Konzeptionen eines guten
Lebens haben, bedeutet das nicht, dass wir damit uns eine carte
blanche geben, dass wir uns möglichst asozial in unserem Leben
benehmen dürfen solange wir noch im Rahmen des Erlaubten sind.
Natürlich können wir eine Kritik, ich weiß halt nicht, ob das mit
Rekurs auf den Freiheitsbegriff ungefähr da gewährleistet werden
muss, aber natürlich können wir an Joyrider wie Ulf Poschardt
oder sowas eine Kritik üben, dass wir sagen, es mag ja sein, dass
es hier in der Bundesrepublik das Recht gibt, mit 180 über die
Autobahn brettern zu dürfen. Und es mag sogar sein, dass wir
keinen Staat haben wollen, der das reguliert, Weil das nämlich
Auswirkungen in anderen Bereichen hätte, so ein regulativer
Eingriff, den wir vielleicht gar nicht haben wollen. Aber das
heißt dennoch nicht, dass wir die moralische Fahne ganz oben
jetzt erreicht haben und sagen können, du kannst jetzt machen,
was du willst. Das ist, glaube ich, das hatten wir ja vorhin, das
ist immer so ein fundamentales Missverständnis, dass wenn man
denkt, nur weil man quasi die Freiheit hat, etwas zu tun, im
Englischen sind es die Liberties to do something, dass wir
deswegen das auch tun sollten. Und dass wir deswegen einander
auch nicht mehr da sozusagen nicht mehr kritisierbar sind. Das
ist ja Quatsch.
Und ich glaube, dass das Alien Schwierigkeiten hätte, genau zu
verstehen, wo man eigentlich in so einer komplizierten, auch
historischen Situation, das ist ja, diese ganzen
Freiheitsvorstellungen sind uns ja historisch überkommen und die
haben ganz stark etwas mit konkreten gesellschaftlichen
Konflikten und Problemlagen zu tun, die man dann versucht hat,
mit dem Begriff der Freiheit möglichst gut zu erschließen.
Und das war ja in dieser tollen ersten Frage, wo das Alien
hinkommt, und merkt, okay, es ist eine Art friedliches
Zusammenleben und das wird als freiheitliches Zusammenleben
beschrieben.
Wie hängt dieses friedliche Zusammenleben mit diesem
freiheitlichen Zusammenleben eigentlich zusammen? Und ich glaube,
das ist unter aktuellen Bedingungen, unter Fragen des
Klimawandels und anderen Sachen, sind das natürlich Fragen, die
ganz stark da sind.
Und die große Frage ist dann sozusagen, wie gehen wir in einer
Gesellschaft mit Leuten um, in der wir permanent Leute haben, die
nicht gewillt sind, einen umweltbewussten Gebrauch ihrer eigenen
Freiheit zu machen.
Und dann kommen Leute an, die sagen, ja, dann müssen wir das halt
mit staatlichem Zwang sanktionieren. Und das sind, würde ich
sagen, na klar, das sind dann Freiheitseinschränkungen. Von
bestehenden Aufteilungen von Freiheit ist das eine Einschränkung.
Ist es vielleicht eine gerechtfertigte Einschränkung? Na, ich
würde denken, klar, logisch ist das eine gerechtfertigte
Einschränkung. Mir fällt kein gutes Argument ein, warum man das
nicht einschränken sollte an diesem Bereich. Aber eben, wie
gesagt, weil es halt andere Werte gibt, und die muss man ins
Verhältnis zu dem Wert der Freiheit setzen. Und das ist eine sehr
delikate Balance, die man da treffen muss.
Und vielleicht gibt es bestimmte Bereiche, bei denen man sagt,
naja, wir wissen zwar nicht, ob das negative Folgen in anderen
Bereichen haben wird, aber wir fangen mal an, diesen Bereich
stärker zu regulieren. Und der große Vorteil ist natürlich, dass
in den Demokratien, vielleicht noch gegenüber anderen
Staatsformen haben, dass Dinge immer wieder vorgelegt werden
können. Und dass man sozusagen in einem Trial-and-Error-Verfahren
auch bestimmte Einschränkungen ausprobieren kann, um dann zu
merken, es hat doch negative Folgen gehabt, die wir nicht bereit
sind zu tragen. Und dann kann man es versuchen, wieder in einer
großen gesellschaftlichen Debatte quasi wieder umzubiegen und in
eine andere Form.
(Marc von der Linde)
Dem Alien ist nun bereits vieles klarer geworden. Der Begriff der
Freiheit erweckt zwar auf den ersten Blick Ideen von Maßlosigkeit
und des Exzesses, aber dem Alien wurde auch bewusst, dass es eben
Grenzen und Prämissen dieser Idee von Freiheit gibt.
Das Individuum ist somit immer in einem gewissen Rahmen frei.
Diesen Rahmen darf das Individuum frei füllen mit allen Träumen
und Visionen, die ihm innewohnen.
Nun denkt das Alien, aber solch eine Vorstellung einer freien
Gesellschaft scheint doch immer davon abhängig zu sein, dass es
genügend Individuen innerhalb dieser Gesellschaft gibt, die diese
Ideale in ihrem Leben unterstützen und mittragen wollen.
Impliziert die Abwesenheit von Zwängen eine Übergabe der
Verantwortung an das Individuum, die eigene Freiheit für sich
selbst und im Sinne der Gemeinschaft zu nutzen? Und besteht dann
doch ein subtiler Zwang, sich den Idealen und Werten der
Gemeinschaft anzupassen?Muss man ein Leben in Freiheit also in
gewisser Weise lernen?Also ist ein Leben in Freiheit also immer
etwas, was man der jeweiligen Gesellschaft entsprechend lernen
muss?
(Dr. Philipp Schink)
Tolle Frage, sehr spannend, sehr kompliziert.
Ganz schnell darauf geantwortet, also ich denke, es gibt
tatsächlich einen Zusammenhang ganz stark mit
Verantwortungszurechnungen im Guten wie im Schlechten und dem
Bestehen von Freiheit.
Man kann sagen, das ist so eine Art Grundbedingung, weil wenn ich
zu irgendwas gezwungen bin, dann trage ich keine Verantwortung zu
diesem Handeln, weil ich habe, ja nicht anders handeln können,
ich bin ja dazu gezwungen worden und so weiter. Und wenn wir dann
versuchen zu gucken, okay, wer ist denn jetzt für diese Misere
verantwortlich, dann gucken wir zu der Person, die den Zwang
ausgeübt hat und nicht zu mir. Das ist so ein bisschen der eine
Punkt.
Aber Verantwortung, kann man auch sagen, schlägt natürlich in die
andere Seite auch aus. Weil ich sagen kann, naja, wenn ich
sozusagen Freiheitsräume zurechne, dann kann ich ganz schnell
sagen: Was du dann mit dieser Freiheit machst, obliegt dann
vollständig dir. Und dann kannst du keine Ansprüche mehr an mich
stellen, dass ich dir über dieser Freiheit hinaus zu irgendwas
weiterverhelfe.
Es gibt Gedankenexperimente, die in diesem Bereich durchgeführt
worden sind. Dass man sagt: Wenn wir davon ausgehen, dass es eine
egalitäre Grundverteilung gibt. Alle Personen hätten 5 Euro zu
Beginn des Versuchs. Und diese Personen würden jetzt mit ihrem
Geld bestimmte Investitionsentscheidungen treffen und würden nach
einer Runde, nachdem sie diese Investitionsentscheidung getroffen
hätten, ein paar Jahre wäre es gegangen und wir hätten gesehen,
dass sie unterschiedlich kluge Investitionsentscheidungen
getroffen hätten und infolgedessen hätten manche sozusagen einen
Zugewinn zu diesen 5 Euro und andere hätten weniger. Manche wären
sozusagen ganz mittellos geworden.
Und jetzt ist die Frage, okay, haben die Leute, die kluge
Investitionsentscheidungen, die jetzt über Güter verfügen,
meinetwegen, oder einfach nur ein paar Euro mehr, haben die
irgendwelche freiheitsbasierten Verpflichtungen gegenüber den
Leuten, die jetzt mittellos sind. Das ist eine große Frage.
Da haben viele sogenannte libertäre oder neoliberale Philosophen,
ganz berühmt hat das mal Robert Nozick in Anarchy, State and
Utopia gemacht, haben gesagt, nein. Denn wenn wir jetzt anfangen,
Gelder zu transferieren, greifen wir in deren Handlungsbereichen
ein, Und Gelder transferieren heißt ja sozusagen in der Realwelt
Besteuerung.Dann sind die Zwangsmaßnahmen, dann greifen wir in
deren Freiheit genau ein. Das bedeutet, nach so einem Motto ist
Verantwortung total wichtig, weil wir nämlich die Verantwortung
geht mit Freiheit einher. Wir tragen dann für all unsere
Entscheidungen selber die Verantwortung.
Und andere Personen können auch aus Benevolenz geneigt sein, uns
zu helfen, aber es besteht nicht mehr wirklich eine harte Pflicht
oder sowas, weil die kann nur freiheitstheoretisch basiert sein.
Und das wird auch in der Freiheitsdiskussion immer benutzt, weil
natürlich gesagt wird, warum soll ich, weil eine Person, und das
wird gerade im sozialpolitischen, Bereich immer permanent
benutzt. Warum soll ich für die Fehlentscheidung einer anderen
Person, warum soll ich dafür, dass eine andere Person nicht
leistungswillig ist oder was auch immer, warum soll ich dazu
aufkommen?
Wenn ihr das von mir verlangt, dann fangt ihr an, mich zu zwingen
und eigentlich ist die andere Person der Fall. Also solche
Gedanken kommen da immer wieder auf, das sind Gedanken, die sehr
stark auch wieder Auftrieb erlangen. Wir finden das in
Argentinien ganz stark, wir finden das in den USA permanent im
Diskurs, wir haben das in England aber auch und wir haben das in
Deutschland auch natürlich in der Bundesrepublik oder in Europa
insgesamt solche Gedanken.
Und das führt dann dazu, in letzter Instanz, dass man sagt, naja,
wenn jeder sozusagen seines Glückes Schmied ist, dann können wir
alles, was darüber hinausgeht, nachdem wir so eine Art egalitäre
Verteilung von Freiheitsrechten etabliert haben, nichts weiter
voneinander verlangen.
Und faktisch bedeutet das, der Wohlfahrtsstaat ist damit raus.
Und attackieren kann man solche Argumente natürlich immer, dass
man sich nochmal genau diese Verbindung von Freiheit, was für
Freiheitsrechte sind das, was ist das für ein
Freiheitsverständnis eigentlich und Verantwortung dann anschaut.
Und dann eben schaut, sind es plausible Freiheitsverständnisse,
die da im Hintergrund sind, ist es eine plausible Form der
Verantwortungsattribution, auf welcher Grundlage erfolgt die
eigentlich und so weiter.
(Marc von der Linde)
Das Alien denkt in vergangenen Zeiten, seine Existenz zu
beginnen, wurde es nach bestimmten Ideen gebildet. Bei der
Besinnung auf das Thema der politischen Freiheit denkt das Alien:
Die Individuen einer Gesellschaft müssten auch in ähnlicher Weise
ge-bildet sein; ja - die Wahrnehmung und Vorstellung eines guten
Lebens der Individuen müsste in jedem Individuum neu gebildet
werden.
Ohne die Bildung der Individuen gerät politische Freiheit in
Gefahr, denn nur mittels freier Bildung können Individuen ihre
eigene innere Freiheit kultivieren - oder etwa nicht?
(Dr. Philipp Schink)
Zum Beispiel John Stuart Mill. Das ist ein klassischer Liberaler,
würde man sagen. Und der hat eine bestimmte perfektionistische
Vorstellung von Selbstverwirklichung auch verfolgt. Und der hat
den Nutzen von Freiheit ganz klar darin gesehen, dass der
Menschen einen Spielraum öffnen würde, indem sie ihre
idiosynkratischen und auch durchaus exzentrischen Vorstellungen
eines guten Lebens ausbilden könnten. Sodass Freiheit quasi
Nutzen in der Perspektive hat, wie Menschen selber das Gute für
sich herausfinden können. Und er hat das Experiments in Life
genannt, dass man selber in einer Art Trial-and-Error-weise einen
Raum hat, in dem man sich ausprobieren kann und dann immer mehr
herausfinden kann, was ist eigentlich eine Vorstellung von einem
guten Leben, was resoniert, was ist ein gutes Leben. So, dass man
auch da eine Verbindung hat quasi mit diesen Entwicklungen, mit
einer Bildung eines Individuums und Freiheit.
Nur wird Freiheit da selbst quasi vorgelagert. Es ist ein
Ermöglichungsraum in den Personen. Und sie müssen den natürlich
nutzen. Das sagt ja schon der Nutzen von Freiheit. Und das muss
dann auch genutzt werden. Wenn das der Weg ist, dann können es
Leute nur selbst.
Und man kann sie nicht dazu zwingen. Man kann sie vielleicht ein
bisschen stupsen und man kann sie ermutigen oder so, aber man
kann sie nicht dazu zwingen selber gute Vorstellungen eines guten
Lebens rauszukriegen.
Eine andere Frage ist: In der Transition positiver Freiheit sagt
man ja manchmal, naja, Freiheit besteht einfach darin, dass ich
mich selbst verwirkliche oder Freiheit besteht darin, dass ich
gemäß bestimmter objektiv zu erkennende Vorschriften oder
Entwürfe oder sowas lebe. Wenn das der Fall ist, dann binde ich
ja Freiheit immer an etwas anderes und dann sage ich natürlich
auch, Freiheit ist nur auf einer bestimmten Art und Weise zu
haben.
Nämlich nur, wenn ich das in actu oder wie Charles Taylor, das
ist ein Philosoph des 20. Jahrhunderts, der ganz viel zu Freiheit
auch geschrieben hat. Und der in der Kritik an Isaiah Berlin so
ein bisschen gesagt hat, Freiheit ist doch ein Ausübungs-, ein
Exercise-Konzept. Manchmal wird das auch mit
Verwirklichungskonzept benannt. Und wenn man so eine Vorstellung
hat, dann denkt man natürlich nur, dass Freiheit darin besteht,
einen bestimmten Prozess zu vollziehen und etwas Bestimmtes zu
tun. Und das kann man nicht in einer anderen Weise haben, außer
man macht es sozusagen selbst.
So ganz trivial formuliert würde ich mal sagen, unabhängig ob es
da einen begrifflichen Zusammenhang mit Freiheit gibt oder nicht.
Natürlich basieren freiheitliche Ordnungen in unserer realen
Welt, nicht auf der begrifflichen Ebene. In unserer realen Welt
können wir ganz getrost davon ausgehen, dass freiheitliche
Ordnungen nur dann bestehen, wenn Menschen selber den Wert von
Freiheit verstehen und wenn sie auch in ihrem eigenen Leben
diesen Wert wiederfinden.
Wenn das nicht der Fall ist, dann erodieren diese Ordnungen
einfach und dann ist es relativ schnell vorbei mit der Freiheit.
Also wenn es ein ganz großes autoritäres Bedürfnis wieder bei
Menschen gibt, wenn Menschen meinetwegen überfordert sind von
einem ständigen neoliberalen Diktat, dass man permanent selbst
sich hier verwirklichen muss oder dass man permanent selber
hetzen muss, um das eigene Leben zu schaffen.
Und wenn man sozusagen diesen Raum von Möglichkeiten, in dem man
ständig Entscheidungen treffen kann, als Überforderung begreift -
dann kann das ganz schnell umschlagen und dann sagt man, naja,
ich möchte mit dieser Freiheit nichts mehr zu tun haben, weil die
überfordert mich.Und die führt eigentlich nicht dazu, dass ich
ein gutes Leben führe, sondern die führt dazu, dass ich
eigentlich von den Entscheidungen, die ich permanent treffen
muss, so was von ausgelaugt bin, dass ich mir endlich mal so
einen ganz festen Lebensweg vorstelle.
Und wenn nun andere da sind, die über diese Spuren entscheiden,
dann ist das für mich entlastend. Und das ist auch immer so
etwas, wo man gucken muss, wo schlägt ein zu viel in das
Bedürfnis nach etwas anderem um oder sowas. Und vielleicht kann
man diese autoritären Tendenzen, die es zum Teil gibt, die es
aktuell gibt, als ein Syndrom der Erschöpfung nach 40 Jahren
Neoliberalismus interpretieren, wo einfach Individuen an den Rand
gedrängt sind und sagen, das will ich so nicht mehr. Und dann
wird es natürlich gefährlich.
(Marc von der Linde)
Dem Alien kommt noch ein letzter Einwand.
Die unterliegende Prämisse der Frage, wie der Interviewer zur
Erfüllung des Begriffs der Freiheit stellte, stellt scheinbar
eine Gutmütigkeit vieler Menschen zugrunde.
Ist der Mensch aber nicht auch frei in der Entscheidung, sich
gegen die Würde anderer Menschen zu wenden und sich für das Böse
zu entscheiden?
(Dr. Philipp Schink)
Ja gut, da habe ich eigentlich keine Antwort drauf. Trivial
formuliert würde ich sagen, ja, na klar.
Ich frage mich so ein bisschen, ob wir eigentlich bei diesen
Kategorien vom Bösen, Guten, wenn wir die noch weiter haben
können und wenn wir denken, dass die noch, also zumindest bei dem
Bösen, ob das noch Sinn macht, wenn wir das aus einer bestimmten
religiösen Geschichte rauslösen, ob wir dann eigentlich mit so
einer Kategorie noch Sinn machen.
Aber wenn wir das ein bisschen quasi niederstufiger hängen und
sagen: Naja, ist es nicht auch eine freie Entscheidung von
Menschen oder gehört es nicht zu der Freiheit, wie wir sie hier
in den Ordnungen, meinetwegen Europas, vorfinden dazu, dass
Menschen sich dazu entscheiden, amoralisch zu sein oder nicht
moralisch zu sein. Oder dass sie meinen, dass sie einander
nichts, was über Rechte hinausgeht, dass sie darüber nichts
einander schulden. Können sie sich nicht dazu aufraffen?
Klar, man sieht es doch von morgens bis abends, dass Menschen das
machen. Und dass das auch ein Bestandteil von diesen
Freiheitsrechten ist, weil das natürlich, auch wenn, wir hatten
das vorhin im Gespräch, auch wenn so klassische Liberale gesehen
haben, wir können die Menschen nicht zum moralisch richtigen
Handeln zwingen, weil wir durch den Zwang quasi die moralische
Motivation und die moralische Einsicht selbst
unterdrücken.Sozusagen ersetzt Zwang stückweise die moralische
Einsicht und Menschen hören dann auf, in the long run selber sich
als moralische Wesen zu verstehen, sondern sie denken dann
einfach nur, ich bin ja hier permanent dazu gezwungen, ich sehe
gar nicht mehr quasi den Grund, dass das moralisch gut begründet
ist oder so.
Aber auch die, quasi dieser Liberalismus, hat ja quasi
eingepreist, dass dennoch, wenn wir solche Freiheitsräume
eröffnen, Menschen auch von denen quasi Gebrauch machen, in einer
Weise, die sie nicht zu darüberhinausgehendem moralischem Handeln
oder sowas treibt. Von daher, klar.
Ich glaube, das ist immer eine, also wie gesagt, das deutet
nochmal darauf hin, dass Freiheit vielleicht nicht so der
Masterwert ist, auf den alle anderen Werte reduzierbar sind,
sondern dass das ein Wert ist, der eine ganz spezifische Funktion
erfüllt. Und das ist eine wahnsinnig wichtige Funktion. Aber sie
ist eben nicht eine, die alle Bereiche abdeckt. Wir sind auf
andere Werte, andere Begriffe angewiesen, um dieses komplizierte
menschliche Miteinander, was wir haben, sinnvoll erschließen zu
können und auch sinnvoll verstehen zu können.
Und es hilft oft nicht, wenn wir so einen One-Fits-All-Begriff
versuchen zu etablieren, der dann unscharf an den Rändern wird,
der bestimmte Phänomene nicht mehr gut in den Griff kriegt.
Und dann ist es oft besser, man versucht Begriffe enger zu
ziehen, um denen dann aber eine spezifische Funktion in unseren
praktischen sozialen und politischen Kämpfen und Konflikten und
meinetwegen auch Diskussionen zuweisen zu können. Das ist der
Punkt.
Aber diese Frage, aus einer europäischen Perspektive gesehen,
kann dieses fragile Europa, kann das funktionieren, wenn nicht
mehr die Bürger und Bürgerinnen Europas in einem überwiegenden
Teil sich mit diesem Projekt identifizieren und auch versuchen
selber, für diese freiheitliche Ordnung einzustehen oder sogar
meiner Meinung nach im besten Fall die sozusagen massiv zu
erweitern und eine kritische Perspektive auf diese Ordnung zu
haben, in dem Verständnis, dass die vielleicht auch nicht
tatsächlich eine vollumfängliche Freiheit realisiert, sondern
selber auch nur ein Ausdruck einer bestimmten gesellschaftlichen
Situation mit einem bestimmten Machtverhältnis ist und auch immer
eine Aufrechterhaltung dieses Machtverhältnisses in diesem
Bereich einer bestimmten Eigentumsordnung vor Augen hat.
Aber wenn man nach einem Bestand von so einer Ordnung fragt und
denkt, dass die Menschen nicht für den Bestand eintreten, dann
gibt es keine Ordnung.
Es rettet uns kein höheres Wesen, das gilt auch da. Also auch
kein Alien.
(Marc von der Linde)
Auch wenn die demokratische Freiheit im Realen immer an
tatsächliche Institutionen gebunden ist, die diese gewähren und
schützen - sie scheint auch eine allgemein menschliche Idee zu
sein, die internationale Strahlkraft besitzt.
Dem Alien stellt sich die Frage: Wenn sie sowohl ein Ideal ist,
das es umzusetzen gilt; als auch ein tatsächlicher Zustand - dann
müsste es doch in jedweden politischen Systemen Möglichkeiten
geben, diese zu erhalten oder zumindest den Weg für die Schaffung
dieser zu ebnen.
Der Weg zur Verwirklichung dieses Ideals scheint komplex zu sein,
aber unabhängig von Herkunft oder Prägung, gibt es für Menschen
einen Weg, sich international für Freiheit einzusetzen?
(Dr. Philipp Schink)
Also es gibt ja tausend unterschiedliche Wege und Möglichkeiten.
Man kann sich wirklich überall im Kleinen wie im Großen für
Freiheit einsetzen. Sich für Freiheit einzusetzen, bedeutet auch
quasi in der eigenen Klasse, im eigenen Klassenverband an der
richtigen Stelle für die freie Rede von irgendjemand, den die
anderen nicht anhören wollen, einzutreten.Aber auch gleich
sozusagen dafür einzutreten, dass vielleicht bei der Freiheit der
Meinungsäußerung nicht dazu gehört, dass man jetzt andere immer
hören muss oder sowas. Meinungsfreiheit bedeutet ja nicht, dass
andere einen anhören müssen, sondern nur, dass man selbst
rauströten kann, was man gerade denkt. Und nicht, dass die
anderen dann zum Empfangen gezwungen sind oder so.
Aber ansonsten ist das ja eine Frage, die, glaube ich,
Philosophen nicht so gut beantworten können, sondern die alle am
besten für sich beantworten können.
Natürlich ist es eine Frage, einerseits können sozusagen kämpfen
Menschen überall auf der Welt, auch wenn sie nicht in liberalen
Verfassungsstaaten, demokratischen Verfassungsstaaten leben,
kämpfen Menschen für Freiheit. Und ich denke, klar, Menschen
kämpfen gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Knechtung, das ist
überall. Überall gibt es Verhältnisse von Freiheit für einige und
Unfreiheit für andere.
Und sich da sozusagen auf die Seiten der Schwachen, denen die
Freiheit genommen oder deren Freiheit eingeschränkt ist, zu
stellen, das kann man in vielfältiger Weise. Mit diesem Beispiel,
man kann es in ganz klein machen.
Und man kann es in größeren Sachen machen. In größeren Sachen
heißt es letztendlich, sich in irgendeinem Bereich politisch zu
engagieren und für die Freiheitsrechte einzutreten.
Dann ist die große Frage, will man das im Rahmen des Bestehenden
machen? Also will man für liberale Freiheitsrechte eintreten oder
- da fängt man an, in Kreisen zu arbeiten, die sagen, dass auch
das Verfügen über materielle Möglichkeiten dazu bestimmt oder die
sagen, dass bestimmte politische Rechte nicht nur auf den
politischen Bereich beschränkt werden sollten, sondern auch im
ökonomischen Bereich gelten sollen, sodass es tiefgreifende und
weitergehende Rechte sozusagen von Leuten, die in irgendeiner
Firma arbeiten, über Produktionsentscheidungen mitbestimmen zu
können oder sowas gibt.
Also das sind so Fragen, Wirtschaftsdemokratie, bleibt Demokratie
ein rein politisches Prinzip, wird das auf die Wirtschaft
ausgedehnt?
Das sind so Fragen. Dann sind es große Fragen, wie kämpft man
gegen offensichtlich freiheitseinschränkende unterdrückerische
Staaten?
Wie versucht man sich da zu engagieren? Versucht man da
Oppositionsgruppen zu stützen? Versucht man erstmal zu verstehen,
wer da um was kämpft?
Also da gibt es vielfältige Möglichkeiten, Im Kleinen wie im
Großen.
Und ich glaube, man muss sich immer eine Frage stellen: Was kann
man selber machen? Und wo kann man möglichst effektiv etwas
ausrichten?
Und da gehört immer ein bisschen überlegen und informieren dazu.
(Marc von der Linde)
Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
(Dr. Philipp Schink)
Sehr gerne. Vielen, vielen Dank für das Gespräch. Das hat mir
viel Freude gemacht und ich fand die Idee mit dem Alien sehr
clever und sehr lustig. Ein sehr guter heuristischer Kniff.
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