#12 Der Wiesbadener Juristenprozess - Von der Justiz verfolgt unter dem Label "Asozial"
33 Minuten
Podcast
Podcaster
Ein Podcast zu nationalsozialistischen Kontinuitäten im Recht und in der juristischen Ausbildung
Beschreibung
vor 1 Woche
In dieser Folge von "Mal nach den Rechten schauen" beschäftigen
sich Livia und Elisa mit dem Wiesbadener Juristenprozess von
1952: Fünf hochrangige NS-Juristen waren wegen ihrer aktiven
Beteiligung an der Ermordung von Strafgefangenen in den
Konzentrationslagern angeklagt. Im Gespräch mit Dr. Felix
Wiedemann beleuchten wir das Schicksal der als unter dem
Label “asozial” verfolgten Strafgefangenen – einer Opfergruppe,
die sich unmittelbar in Obhut der Justiz befand - und lange Zeit
übersehen wurde.
Redaktion, Moderation & Schnitt: Livia Giuliani und Elisa
Costadura
Redaktion & Werbung: Whitney Nosakhare
Redaktionelle Unterstützung: Viktoria Moissiadis, Tabasom
Djourabi-Asadabadi, Johannes Lintig, Jonas Höltig
Inhalt
Das Himmler-Thierack-Abkommen und die „Vernichtung durch Arbeit“
von Strafgefangenen
Die individuelle strafrechtliche Verantwortung einzelner Juristen
für die Ermordung der Strafgefangenen in den KZs.
Warum NS-Juristen freigesprochen wurden und die Opfer keine
Gerechtigkeit erfuhren. Und was das mit der Erinnerungskultur in
der BRD zu tun hat.
Wie wurde der Begriff „Asoziale“ verwendet und welche
weitreichenden Folgen das hatte.
Persönliche Reflexionen von Felix Wiedemann über seine familiäre
Verbindung zu einem der Angeklagten.
Wichtige Punkte
Unter dem Himmler-Thierack abkommen wurde beschlossen, dass
einige Strafgefangene generell deportiert und ermordet werden
sollten, darunter Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti, Menschen in
Sicherungsverwahrung (meist als “Berufsverbrecher” Verfolgte),
Menschen aus Polen, Russland und der Ukraine. Bei allen anderen
war eine individuelle Überprüfung durch einige wenige
Ministerialbeamte vorzunehmen -wer als “asozial” eingestuft
wurde, wurde deportiert.
Der Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des
Nationalsozialismus lehnt den Begriff „Asoziale“ ab und spricht
sich dafür aus, dass von sozialrassistisch Verfolgten gesprochen
werden solle. Die sozialrassistisch Verfolgten fanden ebenso wie
die als Berufsverbrecher Verfolgten erst 2020 als
NS-Verfolgtengruppe Anerkennung. Für Entschädigung nach dem
Bundesentschädigungsgesetz war es dann zu spät. Zuvor hatte es
nur vereinzelt Entschädigungen für “individuelle Härten” durch
die KZ-Haft unter den Härterichtlinien des Kriegsfolgengesetzes
gegeben. Bis 2019 erhielten hierüber 288 als “Asozial” und 46 als
Berufsverbrecher Verfolgte Entschädigung (Bundestagsdrucksache
19/14342).
Der Prozess zeigt die systematische Abwehr von Verantwortung
durch NS-Juristen und die mangelnde Aufarbeitung in der (frühen)
Bundesrepublik.
Die meisten der Angeklagten führten nach dem Prozess ihre
Karrieren in der Juristerei unbehelligt weiter.
Quellen
Interview mit Felix Wiedemann vom15.10.2022
Felix Wiedemann: “Anständige” Täter -”asoziale” Opfer, VfZ
4/2019
Helmut Kramer: Der Beitrag der Juristen zum Massenmord an
Strafgefangenen und die strafrechtliche Ahndung nach 1945, KJ
Vol. 43, N. 1 (2010), S. 89-107
Folgenbild: Urteilsausfertigung des Urteils im Wiesbadener
Juristenprozess, aus dem Nachlass von Friedrich Wilhelm Meyer,
zur Verfügung gestellt von Felix Wiedemann
Weiterführende Links
Verband für das Erinnern an die verleugneten Opfer des
Nationalsozialismus: https://www.dieverleugneten-vevon.de/
Vom 13. Oktober 2024 bis zum 26. Januar 2025 bietet die
Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden
Europas kostenlose öffentliche Führungen durch die
Wanderausstellung »Die Verleugneten« an. Die Ausstellung kann
auch digital betrachtet werden unter
https://www.die-verleugneten.de/
Anerkennung der Verfolgtengruppen im Bundestag am 13.02.2020:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw07-de-ns-verfolgte-680750
Triggerwarnung: Diese Folge thematisiert Gewalt und
Verbrechen des NS-Regimes.
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