Studio B Klassiker: Paul Auster: 4321
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Beschreibung
vor 1 Woche
Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen und ich gönne mir etwas
Ruhe und ruhe mich auf bereits getaner Arbeit aus. Daher an
dieser Stelle ein Studio B Klassiker und eine Reminiszenz an den
in diesem Jahr verstorbenen Paul Auster.
„Was wäre wenn?“, scheint das Leitmotiv des von Paul Auster
jüngst veröffentlichtem Roman 4321 zu sein, welcher in
Deutschland im Februar 2017 im Rowohlt Verlag erschien.
Eine Frage die sich wohl jeder Mensch im Laufe seines Lebens
schon ein- oder mehrmals gestellt hat, nicht zuletzt ein
alternder Schriftsteller, und auf die es keine Antwort gibt. Doch
der bereits 70 jährige Paul Auster entwirft in seinem über
tausend Seiten umfassenden neuen Werk die Welt eines
Protagonisten, der in verschiedenen Varianten und Variationen das
„was wäre wenn“ ausleben und erleben darf.
Er nimmt den Leser mit auf die Reise des Gedankenspiels, wie
anders sein oder zumindest ein Leben hätte verlaufen können.
Dadurch drängen sich zwangsläufig die Fragen auf, ob unser Leben
überhaupt in unserer Hand liegt, oder ob wir fremdbestimmt sind
und abhängig von den Entscheidungen anderer Menschen und ob
unterschiedliche Entscheidungen und Ausgangssituationen nicht
trotzdem zum gleichen Ausgangspunkt führen können?
Wirft man einen kurzen Blick auf Austers Biographie wird schnell
deutlich, wie viele Parallelen zwischen dem Protagonisten seines
Buches Archie Fergusson und ihm selbst bestehen. Dadurch drängt
sich dem Leser unweigerlich der Verdacht auf, dass er hier, wie
auch in vielen anderen seiner Werke, über sich selbst schreibt.
Möglicherweise auch, dass er mit seinem fortschreitenden Alter an
den Punkt kommt, sein Leben resümieren zu wollen, vielleicht auch
noch einmal in Frage zu stellen, Dinge anzuzweifeln und letztlich
doch zu dem Schluss zu kommen, dass nur er selbst wirklich und
richtig ist und die Varianten seiner Person nicht bestehen
können.
4 3 2 1 entspricht Paul Austers vorangegangenen Werken insofern,
dass es den Leser in einen unverwechselbaren Lesefluss versetzt,
der ihn auf den Worten immer weiter schwimmen lässt.
Nichtsdestotrotz hat es auch seine Längen und wer beispielsweise
beim Thema Baseball nicht in Begeisterungsstürme ausbricht, dem
könnten die ausgedehnten Ausführungen eines Spiels, inklusive der
Fachbegriffe, durchaus ein wenig langwierig erscheinen. Und doch
besteht auch hierin das Positive an Austers Werk, denn es bietet
nahezu jedem Leser einen Bezugspunkt, da es diverse Themen
umfasst. Da wären eben nicht nur der Sport, sondern auch die
Familiengeschichte, die politischen Ereignisse der überwiegend
60er Jahre in den USA, die Lovestory, sowie die Probleme eines
heranwachsenden und pubertierenden jungen Menschen. Mit letzterem
ist gleichzeitig die wichtige Frage verbunden, wie man als junger
Mensch zum Schreiben kommt, damit umgeht und was man schließlich
daraus machen und wie ehrgeizig man dieses Ziel verfolgen will.
Will sagen, der Leser wird für die Textstellen entschädigt, die
ihm zunächst als zäh oder zu ausführlich erscheinen, denn
schließlich fügt sich alles ins große Ganze dieses äußerst
umfangreichen Romans ein, den ich als Paul Austers 'Alterswerk'
bezeichnen möchte. Nach seinen Erfolgen, vor allem in Frankreich
und Deutschland, präsentiert er, im Alter von 70 Jahren, dem
Leser einen Roman, der sich nicht nur mit zutiefst menschlichen
Fragen auseinandersetzt und Lösungsvorschläge anbietet und
aufzeigt, sondern auch ein Sinnbild seines eigenen Lebens und
Schaffens darstellt. Um die Komplexität seiner Gedankenspiele zu
verdeutlichen, möchte ich gern folgendes Zitat anbringen:
„[...] und die ganze Zeit, vom Beginn seines bewussten Lebens an,
das beständig Gefühl, dass die Gabelungen und Parallelen der
eingeschlagenen Wege allesamt zur selben Zeit von denselben
Menschen begangen wurden, den sichtbaren und den
Schattenmenschen, dass die Welt, wie sie war, allenfalls ein
Bruchteil sein konnte, da das Wirkliche auch aus dem bestand, was
sich hätte ereignen können, aber nicht ereignet hatte, und dass
ein Weg nicht besser oder schlechter war als ein anderer, aber
das Qualvolle daran, in einem einzigen Körper am Leben zu sein,
war, dass man sich zu jedem beliebigen Zeitpunkt auf nur einem
Weg befinden musste, auch wenn man auf einem anderen hätte sein
und einem ganz anderen Ort hätte entgehen können“
Es ist schließlich wenig überraschend,ich würde sogar sagen
Paul-Auster-typisch, dass er letztlich mit seinem Protagonisten
verschmilzt. Er lässt ihn die Intensionen erklären, die ihn zum
Schreiben des Buches veranlasst haben, lässt ihn selbst dieses
Buch schreiben und schafft so einen Clou, der gleichzeitig alles
wieder nur als Fiktion erscheinen lässt.
Der Titel: 4 3 2 1, ist mehr als die Zahl der möglichen
Variationen, er ist gleichsam ein Countdown oder die Zeit, die
abläuft? Ich möchte dieses Buch gern weiterempfehlen und jedem
Leser raten, sich selbst eine Meinung darüber zu bilden und eine
Deutung für sich zu finden.
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