Gespenst in der Podcast-Werbung?
Wenn aus deinem Lieblingspodcaster eine KI wird
So persönlich wie echte Menschen, so skalierbar wie KI - das versprechen Gost-Reads. Was steckt hinter der neuen Podcast-Werbung? Sie könnte so gut sein, dass sie an ihrem eigenen Ast sägt.
Man sagt, Touristen zerstören das, was sie suchen, indem sie es finden. Klingt erstmal komisch, aber darin steckt womöglich etwas Wahres. Beispiel gefällig? Coole Berliner Techno-Clubs sind nicht mehr cool, sobald Horden von Touristen einfallen. Abgelegene Strände sind am schönsten, wenn man sie für sich allein hat. Geheimtipps sind keine mehr, sobald sie in Reiseführern stehen. Indem Touristen finden, was sie suchen, hören Restaurants, Inseln oder Stadtviertel auf, das zu sein, was sie einst ausmachte.
So weit, so klar, aber was hat das mit Podcasts zu tun? Vorab vielleicht noch der kurze Hinweis darauf, dass es hier keineswegs darum gehen soll, Touristen zu schelten. Mit etwas aufrichtiger Reflexion können wir uns womöglich auch eingestehen, dass uns beide Rollen, die des abenteuerlustigen Touristen, aber auch die des augenrollenden Einheimischen nicht vollkommen fremd sind. Behalten wir das im Kopf, wenn wir die Analogie auf Podcasts übertragen.
Host-Reads als Goldstandard der Podcast-Werbung
Auf Podnews bin ich auf eine neue Entwicklung aufmerksam geworden. Es geht dabei um Audio-Werbung, und wenn man dem Anbieter glauben darf, dann sogar gleich um eine vollkommen neue Generation davon. Der Hostinganbieter rss.com hat eine Werbemethode entwickelt, bei der "Authentizität auf Skalierbarkeit trifft". Unter dem Namen Gost AI geht das neue Tool an den Start. Es soll so bahnbrechend sein, dass rss.com sich die Technologie patentieren ließ. Darauf scheint das Team dort ziemlich stolz zu sein - womöglich zurecht. Gost klingt wie eine nicht ganz unpfiffige Mischung aus den englischen Wörtern Host (Gastgeber eines Podcasts) und Ghost (wie in Gespenst oder aber auch wie in Ghost-Writer).
Bislang ist der Goldstandard für Podcast-Werbung der Host-Read. Das weiß man sowie bei rss.com als auch in der weiteren Podcast-Branche. Podcaster stellen dabei in ihren eigenen Shows die zu bewerbenden Produkte vor. Der BVDW definiert Host-Reads so:
"Podcast-Hosts und/oder Co-Hosts stellen Produkte oder Services innerhalb einer oder mehrerer Podcast-Episoden persönlich vor. Hierbei variiert die Länge im Allgemeinen von 60 bis zu 240 Sekunden. Ein Host-Read- oder Co-Host-Read-Ad wird hauptsächlich als Pre-Roll oder Mid-Roll platziert. Diese Werbeform kann entweder direkt in der Podcast-Episode eingesprochen („Baked-in“) oder vorproduziert und dann dynamisch und für einen ausgewählten Kampagnenzeitraum oder eine bestimmte Anzahl von Ad-Impressions (verkaufte Reichweite) ausgespielt werden („Dynamic-Ad-Insertion“)."BVDW Whitepaper Ad-Standardisierung und Werberegulierung im Online-Audio
Ich würde in dieser Definition das Wort "persönlich" betonen. Im Gegensatz zu (dynamischen) Podcast-Spots werden Host-Reads weniger als Unterbrechung oder Fremdkörper wahrgenommen, da sie vom Podcast-Host selbst verlesen werden. Hörer erhalten die Werbebotschaft also von der Person, der sie ohnehin gerade zuhören, und für die sie womöglich sogar Sympathie haben. Und Hörer nehmen Produkte positiver wahr, wenn ihr Podcast-Host sie präsentiert, anstatt einer beliebigen Werbestimme. Laut der OMR-Podcast-Umfrage von 2024 gaben 78 Prozent der befragten Podcast-Hörer an, den "Meinungen und Aussagen der Podcast-Hosts" zu vertrauen. 80 Prozent der Befragten vertrauen darauf, dass die Hosts ihrer Lieblingspodcasts ihnen "relevante und qualitativ hochwertige Produkte" empfehlen.
Genau darin liegt die Macht der Host-Reads. Aufgrund der einzigartigen Bindung zwischen Podcastern und ihren Zuhörern, fallen Vertrauenswerte sehr hoch aus und Zuhörer nehmen Kaufempfehlungen besonders gerne an. Für Podcaster sind Host-Reads ausgesprochen lukrativ, je nach Quelle sollen dabei Tausenderkontakt-Preise (TKP) zwischen 50 und in seltenen Fällen sogar bis zu 1.000 Euro anfallen. Ein Podcast mit 10.000 Hörern dürfte sich demnach über Werbeeinnahmen zwischen 500 und 10.000 Euro freuen. Dabei scheinen alle Beteiligten zu gewinnen. Podcaster erhalten attraktive Werbedeals, Werbetreibende erhalten den Zugang zu spitzen Zielgruppen und Podcast-Hörer profitieren von Werbebotschaften, die wie persönliche Empfehlungen wirken.
So lassen sich Host-Reads individualisieren
Nachteil von Host-Read Ads ist indes, dass sie verhältnismäßig aufwendig zu produzieren sind. Podcaster müssen jeden Spot manuell einsprechen, zudem sind häufig noch Briefings und Abnahmen notwendig. Jede Werbung ist praktisch Handarbeit, doch Gost-Reads sollen das ändern.
Mit Gost AI will rss.com das menschliche Appeal der Host-Reads mit der Skalierbarkeit KI-gestützter Anwendungen verbinden. Das Tool soll Podcaster-Stimmen synthetisieren, also speichern, analysieren und nachbilden. Mit der synthetischen Stimme werden dann Host-Reads erstellt - Werbespots, die scheinbar vom Podcaster persönlich stammen, in Wahrheit aber maschinell entstehen. Die Vorteile der neuen Methode liegen auf der Hand: schnellere Produktion (selbst in Abwesenheit des Hosts), keine Sprechfehler mehr, unendliche Variationen der Werbebotschaft.
Besonders der letzte Punkt ist bemerkenswert, denn er geht wunderbar Hand in Hand mit dynamischer Werbetechnologie. Mit Gost-Reads können Werbebotschaften individualisiert werden, sodass Podcast-Hörer in Hamburg eine andere Version des Werbespots hören als in Frankfurt. Je nach Alter oder Geschlecht könnten unterschiedliche Produkte beworben oder Gutscheincodes ausgespielt werden. Morgens gäbe es andere Werbebotschaften als abends - und das alles in der Stimme deiner Lieblingspodcaster.
Klingen die Voice-Klone wirklich so gut wie der Hersteller behauptet und hält das Tool, was es verspricht? Ich habe mich um einen Testzugang bemüht, die Rückmeldung des Herstellers steht bislang noch aus. Doch egal, wie gut Gost-Reads aktuell funktionieren mögen, perspektivisch wird die Podcast-Branche sich mit solcher Technologie auseinandersetzen und mutmaßlich auch anfreunden müssen. Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz schreitet schließlich rasant voran, eine Pause ist nicht in Sicht.
Gost-Read Ads und die Säge am eigenen Ast
Ich muss gestehen, ich tue mich mit Neuem und Veränderung im ersten Moment manchmal etwas schwer. Routinen machen mich effizienter und ich erkenne Weisheit im Bewährten. Trotzdem, oder gerade deshalb, muss ich mich immer wieder ermahnen, Neuem eine Chance zu geben, und nicht nur die Probleme daran zu betrachten. Gost-Read Ads haben das Potenzial, den Podcast-Markt (wieder mal) zu revolutionieren. Sie sind eine folgerichtige Entwicklung des Zeitgeists. Und so überrumpelt wie ich auch manchmal von neuen Entwicklungen bin, so gut kann ich mir andererseits auch vorstellen, dass Gost-Reads schon bald Teil der neuen Normalität sein könnten. Wenn Neues nicht mehr neu, sondern gewöhnlich geworden ist, kann ich meist auch meinen Frieden damit machen. Dann kann ich die Vorteile und Pluspunkte vollumfänglich wertschätzen. Ich denke, mit Gost-Reads wird es ähnlich sein, darin sehe ich riesiges Potenzial. Nichtsdestotrotz möchte ich euch noch kurz verraten, was das alles mit dem eingangs erwähnten Beispiel der Touristen zu tun hat.
Der gemeine Tourist sucht das Rare: Er möchte nicht der millionste, beliebige Besucher sein, sondern seine eigenen individuellen Erlebnisse sammeln. Er sucht Geheimtipps und erkundigt sich bei den "Locals" nach dem Einzigartigen, das nur Ortskundige kennen, aber Außenstehenden normalerweise verborgen bleibt. Je mehr Besuchern genau das gelingt, desto mehr verschwindet allerdings das Gesuchte. Wenn das Individuelle zur Massenware wird, ist es nicht mehr individuell. Und so verhält es sich gewissermaßen auch mit dem Aspekt des Persönlichen in Podcasts.
Hörer schätzen das vertraute, geradezu intime Gefühl, das ihre Lieblingspodcasts ihnen geben. Die Hosts fühlen sich fast wie echte Freunde an. Meiner Meinung nach ist dieses verbundene Gefühl ein wichtiger Grund dafür, dass Podcasts überhaupt erst so erfolgreich werden konnten. Erst die als sehr hoch wahrgenommene Integrität von Podcast-Hosts macht sie zu vertrauenswürdigen Werbeträgern. Bei Host-Reads bürgen Podcaster persönlich für die Produkte, die sie bewerben. Deshalb scheint es mir so bizarr, gerade das Persönliche zu mechanisieren, zu skalieren. Denn wie persönlich kann das Resultats eines KI-Tools noch sein? Rein äußerlich mag die Gost-Read-Werbung genau wie das Original klingen, doch innerlich fehlt ihnen eben, was Podcast-Werbung überhaupt erst so wertvoll machen konnte: Persönlichkeit.
Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass die Vertrauenswerte von Host-Reads langfristig so hoch bleiben, wenn Hörern transparent wird, dass sie in Wahrheit nicht ihrem Lieblingspodcaster, sondern seinem Gespenst (Ghost) zuhören. Je häufiger Host-Reads zu Gost-Reads werden, desto weiter entfernen sich Podcaster von ihren Hörern. Gost-Reads legen die Axt an den Ast, auf dem sie sitzen. Sie haben das Potenzial, das Ideal, dem sie nacheifern, zu zerstören, indem ihnen die Imitation des Ideals gelingt. Die synthetische Stimme zerstört die persönliche Bindung, indem sie sie unweigerlich aufhebt. Meine Vermutung ist, dass wir uns als Podcast-Hörer nichtsdestotrotz daran gewöhnen werden. Der Preis dafür wird aber das Vertrauen in Podcast-Hosts sein.
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