Gar nicht mal so objektiv

Mogelpackung Podcast-Charts

2. Nov 2021 , aktualisiert: 10. Nov 2023

Podcast-Charts wollen uns zeigen, was sich anzuhören lohnt. Doch ihr Anschein von Objektivität trügt. In Wirklichkeit sind sie eine manipulierbare Mogelpackung.

Bild: pexels / podcast.de
Mogelpackung Podcast-Charts

Zu meinem Beruf gehört, dass ich viel lese. Meldungen, Branchen-News, Studien, Pressemitteilungen – Hauptsache es geht um Podcasts. Neulich lag ein Newsletter im Postfach, der mich zum Grübeln brachte. "Die Podcast-Charts. Täglich aktualisiert und nur auf Spotify.", hieß es da. Als ich das las, fiel mir mal wieder auf, was für ein eigenartiges Konstrukt Podcast-Charts doch sind.

Deshalb sind wir so heiß auf Charts

Charts sind, reduziert auf ihren Kern, Reihenfolgen, bei denen das Beste auf Platz 1 steht. Es gibt sie für Musik, Filme Podcasts und für unzählige andere Dinge. Aber bleiben wir bei Podcasts.

An unübersichtlichen Märkten schaffen Charts Klarheit. Sie deuten darauf hin, was sich anzuhören lohnt. Charts quantifizieren, ordnen und geben uns Orientierung. Und irgendwie stehen wir drauf, die Nummer 1 anzuklicken, denn damit machen wir ja ganz sicherlich nichts falsch.

Die Sehnsucht nach Orientierung finde ich bemerkenswert. Sie erscheint mir wie etwas Urmenschliches. Ein Bedürfnis, das uns aber leider auch anfällig für Manipulation macht. Denn was landet überhaupt oben in den Charts?

Podcast-Charts – Was steckt dahinter?

Wir nehmen gutgläubig an, dass die Podcasts auf den oberen Chartplätzen wohl einfach viel geklickt wurden. Irgendwie müssen sie ja da oben gelandet sein. Aber mal im Ernst, welchen Kriterien liegen denn den Podcast-Charts zugrunde?

Eine Pressemitteilung von Spotify aus dem April 2021 erklärte hierzu:

"Wir haben unsere Charts so vertrauenswürdig und transparent wie möglich gebaut. Sie basieren auf einer Kombination aus einzelnen Hörern und der Anzahl der Abonnenten."
Spotify

Auch die Presseabteilung von Spotify konnte keine genaueren Informationen bereitstellen. So weit, so dünn. Die angekündigte Transparenz ist das nicht wirklich. Auch auf der Suche nach den Kriterien hinter Apples Podcast-Charts bin ich eher auf Klüngeleien und Halbwissen als auf verlässliche Fakten gestoßen.

Was Podcast-Charts leisten können – und was nicht

Klarheit und Orientierung sollten die Charts bringen. Ich befürchte, dass sie das bei genauerer Betrachtung nicht einhalten können. Sie sind weder transparent, noch untrübbar. Podcast-Charts spiegeln zwar das, was viel geklickt und abonniert wurde, aber das lässt sich manipulieren.

Eine These: Wenn Podcast-Charts objektiv wären, dann sollten sie auch auf verschiedenen Plattformen ähnlich ausfallen. Tun sie das? Eher nicht. Wenn wir Apples und Spotifys Podcast-Charts vergleichen, dann ergeben sich sehr unterschiedliche Bilder.

Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass Charts das "Beste" abbilden. Denn selbst der Podcast kann nur in den Charts auftauchen, wenn er auch verfügbar ist.

Vergleich von Apples und Spotifys Podcast Charts

Freie und nicht so freie Podcasts

In Apples Podcast-Charts dominieren die Öffentlich-Rechtlichen. In den Top 10 Podcast-Charts stellen sie 5 Produktionen, darunter Lanz & Precht, Lesch und Illner. Die Top 10 Podcast-Charts des Konkurrenten Spotify sehen indes völlig anders aus. Die Öffentlich-Rechtlichen sind dort kaum vertreten, stattdessen dominieren dort hauseigene Produktionen.

Spotifys Eigenproduktionen belegen 2 der Top 3, 3 der Top 5 und 5 der Top 10 Podcast-Charts. Wie kann es sein, dass die beiden größten Podcast-Dienste so unterschiedliche Charts ausweisen?

Spotifys Hochglanzproduktionen existieren nur im eigenen Universum. Der Streaming-Dienst gibt seine Podcasts nicht an andere Dienste frei. Deswegen können sie in externen Charts, beispielsweise bei Apple, gar nicht auftauchen. "Die Podcast-Charts. Täglich aktualisiert und nur auf Spotify.", war vermutlich als Werbespruch gedacht, bekommt hier aber einen unglücklichen Beigeschmack.

Spotifys Podcasts konkurrieren nicht am freien Markt, sondern nur auf der eigenen Plattform. Doch Verfügbarkeit ist nicht der einzige Faktor, der die Podcast-Charts ad absurdum führt.

Ein in sich absurdes System

Was wird nun aus Klarheit, Ordnung und Orientierung, die die Charts uns bringen sollten? Wenn man genau hinschaut, nicht viel, denn das gesamte Konstrukt steht auf Streichhölzern.

Es gibt keine Grundgesamtheit an Podcasts, auf die alle Dienste zugreifen können. Selbst wenn es einen gemeinsamen Pool gäbe, dann wäre das nächste Problem die Messmethode. Nach wie vor werden Podcasts nicht einheitlich erfasst, sodass Klicks, Abrufe oder Downloads je nach Dienst sehr unterschiedlich gewertet werden. So besteht keine Vergleichbarkeit.

Die Macht der Plattformen

Der wohl wichtigste Punkt, der gegen die Neutralität von Podcast-Charts spricht, ist die Macht der Plattformen. Sie entscheiden, welche Podcasts an ihren Charts teilnehmen. Sie entscheiden auch, welche Kriterien den Charts zugrundeliegen sollen und sie können die Kriterien nach Belieben ändern.

Die Plattformen sprechen Empfehlungen aus. Sie bewerben ausgewählte Produktionen an prominenter Stelle und katapultieren sie so gezielt an die Chart-Spitze. Wer die Plattform und ihre Mechanismen kontrolliert, der kontrolliert auch die Chart-Platzierungen. Mögen wir alle uns daran erinnern, wenn das nächste mal jemand einen der Top Podcasts ans Herz legt.

Kritik, Lob oder Anregung zur Kolumne? Immer gerne! redaktion@podcast.de


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