Frei, aber wie lange noch?
Podcasts nicht den Konzernen überlassen
In der Podcast-Welt ist es ein offenes Geheimnis. Konzerne versuchen Podcasting für sich zu vereinnahmen. In dieser Kolumne erkläre ich, welche Konsequenzen dadurch drohen. Es wird düster.
Eigentlich wollte ich nur eine kurze Meldung schreiben, aber dann bin ich ins Grübeln gekommen. Plötzlich war es doch dann diese umfangreiche Kolumne. Pardon. Es geht um ein Thema, das uns bei Podcast Plattform ein wichtiges Anliegen ist: den freien Podcast-Markt und seine Überlebenschancen. Doch vorab vielleicht ein kleiner Exkurs.
Der freie Markt kann etwas ganz Wunderbares sein. Die ganze Welt stimmt, zumindest in der Theorie, über den Wert von Produkten ab. Wie viel ist ein Auto wert? Nun ja, eben so viel, wie Menschen zum jeweiligen Zeitpunkt bereit sind, dafür zu zahlen. Und weil Konsumenten konsumieren und Produzenten verkaufen wollen, entsteht eine Vielfalt. Plötzlich gibt es nicht mehr nur ein Auto. Manche Unternehmen bauen teure Autos, andere bauen besonders schnelle und wieder andere bauen möglichst praktische. Jeder Konsument kauft das Auto, das am besten zu ihm passt. Friede, Freude Eierkuchen.
Aber was, wenn der Podcast-Markt kippt?
Ökonomen vertrauen in die Gesetzmäßigkeiten des Marktes. Ihr Glaube scheint unerschütterlich. Doch während der Markt ja angeblich "alles regelt", hat uns die Realität eines Besseren belehrt. Der Markt hat seine Schattenseiten. Unendliches Wachstum fordert seinen Preis und Unternehmen sind keineswegs unfehlbar. Gelder akkumulieren sich und erzeugen Ungleichgewichte. Das ist keineswegs überraschend, aber kann dennoch zum Problem werden. Denn was ist, wenn der Markt kippt?
In unserem Autobeispiel hieße das, ein Unternehmen übertrumpft alle anderen Hersteller. Zuerst dominiert es den Fahrzeugmarkt, dann die Zulieferketten und später womöglich sogar die Rohstoffquellen. Schach matt. Dieses Beispiel lässt sich übrigens auf jeden anderen Markt übertragen. Was, wenn ein einziges Unternehmen plötzlich den Großteil der Internetsuchanfragen dominiert? Oder der internationalen Warensendungen? Oder der Podcasts?
Podcasting und das freie Ökosystem
Podcasting hat ja seine ganz eigene, wunderbare Geschichte. In den frühen 2000er Jahren wälzten pfiffige Köpfe Ideen zu RSS-Feeds und Audiodateien. Heraus kam das, was anfangs noch holprige Namen wie GuerillaMedia oder Audioblogging trug, und heute als Podcasting bekannt ist. Ich selbst war zu der Zeit in der Realschule und hatte null Ahnung von dem, was die Podcast-Pioniere gerade ausheckten. Die letzten Jahre über hatte ich aber das Glück, mit einigen der Early Apdopter sprechen zu dürfen. So bekam ich den Eindruck, dass das alles damals ein ziemliches Nerd-Ding gewesen sein muss. Unser Gründer, Fabio, und Podcaster wie Larissa Vassilian dürften mir da zustimmen. Hier gibts übrigens noch mehr Details zur Geschichte des Podcastings.
Diese nerdigen Visionäre waren Teil von etwas Größerem, sie vernetzten sich und verfeinerten ihre Techniken. Analog dazu wuchs das kleine Pflänzchen, das Podcasting damals noch war. Die Pioniere legten die Grundsteine für das, was heute noch das Podcast-Ökosystem genannt wird. Es besteht aus unzähligen Diensten, Entwicklern, Podcatchern, Hostern und natürlich Podcastern. Jeder einzelne wuchs für sich, gleichzeitig verwuchsen sie alle miteinander und wurden zu einer vielfältigen, dezentralen Infrastruktur. Selten eine schönere Geschichte gehört. Der dezentrale Charakter ist das, was Podcasts so einzigartig macht. Seit jeher sind sie von jedem Internetnutzer zu jeder Zeit, auf jeder Plattform verfügbar. Sie unterliegen keiner Maximallänge und, Gott sei Dank, keinem Algorithmus. Kurzum, sie sind frei. Zumindest bisher.
Podcasting: Ein Horror-Szenario
Was als freies und dezentrales System startete, steht heute auf der Kippe. Erinnern wir uns an das Autobeispiel, in dem ein Konzern schlussendlich die gesamte Produktionskette kontrolliert. Im Podcasting geht es natürlich nicht um Metall, Kautschuk und Montagebänder. Hier reicht die Kette vom Hosting über die Ausspielplattform bis hin zur Werbevermarktung und Datenanalyse. Alles schick, glänzend, nutzerfreundlich und aus einer Hand. Klingt doch super. Spotify erscheint vielen Beobachtern in diesem Prozess als maßgeblicher Antreiber.
Das, was Podcasting ausmacht, bleibt dabei aber auf der Strecke. Wenn ein Konzern große Teile der Kette kontrolliert, gibt es keine Dezentralität mehr. Das Ökosystem verliert seine Vielfalt. Podcasts sind dann nicht mehr frei. Und wenngleich "alles aus einer Hand" zweifelsfrei seine Benefits hat, möchte ich diese Kolumne nutzen, um auf die dystopisch anmutende Kehrseite der Medaille hinweisen.
Im schlimmsten Fall geht es dann nämlich nicht mehr darum, Podcasting für alle besser zu machen, sondern es so zu gestalten, dass der eigene Konzern am besten davon profitiert. Podcasting ist dann nicht mehr dezentral. Ein einzelner Konzern bestimmt dann, welche Podcasts hochgeladen werden dürfen. Er verfügt über Suche, Discovery und Charts. Das bedeutet, der Konzern entscheidet, welche Podcasts im Rampenlicht stehen oder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Ein Blick nach China zeigt übrigens, dass dies bereits geschieht - kritische Inhalte verschwinden da gerne mal von größten Podcast-Dienst Ximalaya.
Algorithmen bestimmen heute, was in unseren Suchanfragen und Newsfeeds erscheint, wieso sollte es bei Podcasts anders laufen? Creator wünschen sich, dass ihre Inhalte gesehen werden, also erstellen sie Inhalte, von denen sie hoffen, dass der Algorithmus sie wohlwollend platziert. Der Mechanismus der Algorithmenselektion beeinflusst, wie Creator Inhalte erstellen. Sowie in Musik als auch in Videos ist das schon längst Realität.
Unser Beispielkonzern entscheidet natürlich auch darüber, wer auf seiner Plattform werben darf, sowie welche Podcasts dafür infrage kommen. Wer bekommt einen Deal? Daumen rauf oder Daumen runter. Die Vergütung der Podcaster bestimmt er ebenfalls in Eigenregie. YouTube mit seinen teilweise willkürlich anmutenden Demonetarisierungen ist dafür bereits ein anschauliches Beispiel. Auch die Nutzerdaten, ihre Verwendung, sowie die Analyseergebnisse obliegen dann letztendlich dem mächtigen Konzern.
Und die Konsumenten? Die haben letztendlich ein geiles Produkt, aber nicht mehr viel Auswahl.
Überraschung: Nicht alle haben da Bock drauf
Einige Akteure in der Podcast-Community wollen das nicht einfach so passieren lassen. Sie und ihre Sympathisanten suchen nach Alternativen. Da wären zum Beispiel Podcast-Urvater Adam Curry und Dave Jones mit ihrer Podcasting 2.0-Initiative. Herzstück des Projekts ist die offene Plattform Podcast Index, an der Podcaster, Entwickler und Apps sich bedienen können. Sie wollen Podcasting dezentral halten und sogar die Zahlungswege revolutionieren. Bislang fließen die Gelder ja meist von den Nutzern an große Konzerne, die die Plattformen besitzen. Mit Podcasting 2.0 sollen Nutzer die Gelegenheit erhalten, Geld direkt und ohne Zwischenstation an Creator, Dienste oder ihre Entwickler zu schicken.
Daran gliedert sich der Dienst an, über den ich eigentlich eingangs diese Meldung schreiben wollte, das Podcast Standards Project.
"...an effort to establish standards and practices that improve the open podcasting ecosystem for both listeners and creators..."Podcast Standards Project
Die Initiative will Menschen aus dem Podcast-Kosmos dazu animieren, technische Standards einzuführen. Diese Standards sollen die einheitliche Grundlage für das offene, Podcast-Ökosystem bilden. Entwickler, Hoster und Ausspielplattformen sollen sie beherzigen, um eine übergreifende Funktionalität sowie Vergleichbarkeit herzustellen.
Diese Standards fehlen bislang. Da Podcasting an vielen unterschiedlichen Stellen herangewachsen ist, gab es nie eine Einheitlichkeit. Deshalb sind Metriken wie Downloads, Hörer oder Klicks bis heute nur schwer zu vergleichen. The Podcast Standards Project will Ordnung schaffen, alle sollen sozusagen dieselbe Sprache sprechen. Der Ordnungsgedanke ist nicht ganz neu, in Deutschland gab es bereits ähnliche Bestrebungen im Umfeld des BVDW. Dort jedoch eher deskriptiver als normativ-technischer Natur. Wie genau diese Ordnung aussehen soll, ist übrigens noch offen und Akteure auf der ganzen Podcast-Welt sind dazu aufgerufen, sich zu beteiligen.
Dienste, die die Standards implementieren, erhalten ein kostenloses Siegel.
Namhafte Unternehmen wie Blubrry, Buzzsprout und Red Circle nehmen bereits Teil. Acast und Castos haben ihre Teilnahme bereits angekündigt. Podnews ist Medienpartner des Projekts. Sie engagiert und sich in dem Gedanken einig, dass Podcastern und Hörern eine Vielzahl an Plattformen zur Verfügung stehen sollte - und nicht nur eine.
Jetzt bin ich neugierig, was haltet ihr davon? Ist das die Rettung des freien Podcastings oder totaler Mumpitz? Schreibt es mir unter steffen[at]podcast[punkt]de. Ich freue mich auf eure Meinung.
- Podcast Standards Project
- Podcasting 2.0
- Monopol
- Plattformen
- Spotify
- Open Source
- Podcasts
- Podcasting